01. Juni 2025
Individualarbeitsrecht, Arbeits- und Gesundheitsschutz
Autor Chiara Herrmann
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Abwesenheit aufgrund Krankheit des Kindes – rechtliche Faktenlage

Die demografische Entwicklung stellt unsere Gesellschaft vor tiefgreifende Herausforderungen – eine davon ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Besonders deutlich wird dieser Zielkonflikt, wenn ein erkranktes Kind die Anwesenheit und Betreuung durch einen Elternteil erfordert, sei es zur medizinischen Versorgung, zur Begleitung zum Arzt oder zur allgemeinen Pflege zu Hause. Muss ein Elternteil deshalb der Arbeit fernbleiben, prallen zwei zentrale Verpflichtungen aufeinander – die elterliche Sorgepflicht und die arbeitsvertragliche Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung.

Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen und erläutert, unter welchen Voraussetzungen Eltern der Arbeit fernbleiben dürfen und wie der Verdienstausfall kompensiert werden kann.

Rechtliche Grundlagen

Für den Fall der Arbeitsverhinderung aufgrund der Erkrankung des eigenen Kindes existiert kein einheitliches Regelwerk, sondern lediglich ein komplexes Nebeneinander von unterschiedlichen gesetzlichen, tariflichen und vertraglichen Regelungen.

  • 275 Abs. 3 BGB räumt ein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht bei persönlicher Unzumutbarkeit ein. Die Voraussetzungen dafür sind jedoch weit gefasst und lassen sich in der praktischen Anwendung nur schwer konkret fassen.
  • 616 BGB gewährt Arbeitnehmern zwar einen befristeten Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei einer vorübergehenden Verhinderung, enthält jedoch keine eindeutigen zeitlichen Grenzen. Zudem ist die Vorschrift häufig durch individuelle Arbeitsverträge oder Tarifverträge ausgeschlossen.
  • 19 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BBiG hingegen gewährt Auszubildenden einen eindeutig formulierten und unabdingbaren Anspruch auf Vergütungsfortzahlung bei einer vorübergehenden Verhinderung aus wichtigem Grund, wie der Erkrankung eines Kindes.
  •  45 Abs. 3 und 5 SGB V gewähren Arbeitnehmern bei der Erkrankung ihres Kindes unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung.
    Zugleich besteht ein sozialrechtlicher Anspruch auf Kinderkrankengeld gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 45 Abs. 1 SGB V), der den Freistellungsanspruch finanziell absichert. Auch wenn die Regelung im Sozialgesetzbuch verankert ist, hat sie direkte arbeitsrechtliche Relevanz.

 

Ein weiteres Leistungsverweigerungsrecht ist in § 2 Abs. 1 PflegeZG vorgesehen. Dieser gewährt Beschäftigten das Recht, für bis zu 10 Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen, zu denen auch eigene Kinder zählen, die Pflege sicherzustellen.

Für tarifvertraglich Beschäftigte stellt §29 Abs. 1 lit.b) ee) TVöD eine spezielle Regelung zur bezahlten zeitlich begrenzten Freistellung von der Arbeit aufgrund schwerer Erkrankung des Kindes dar.

Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber?

Bei Arbeitsverhinderung aufgrund Krankheit des Kindes kann ein Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers aus § 616 BGB folgen. Dieser gewährt einen vertraglich abdingbaren Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn der Arbeitnehmer „für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird“.

Nach der Rechtsprechung wird ein Zeitraum von bis zu fünf Arbeitstagen pro Kalenderjahr in der Regel als „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ angesehen (vgl. BAG, Urt. v. 19.04.1978, Az.: 5 AZR 834/76). Je nach Einzelfall – etwa in Abhängigkeit vom Alter des Kindes oder von Art und Schwere der Erkrankung – kann dieser Zeitraum jedoch auch kürzer oder länger bemessen werden. Überschreitet die Verhinderung die zeitliche Spanne, entfällt der Vergütungsanspruch nach der Rechtsprechung des BAG vollständig (vgl. BAG, Urt. v. 20.07.1977, Az.: 5 AZR 325/76).

Die Vergütungspflicht ist in vielen Arbeitsverträgen nach § 616 BGB auch ausdrücklich ausgeschlossen. In solchen Fällen besteht selbst für eine nur kurze Pflegezeit eines kranken Kindes kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Wer leistet Ersatz, wenn der Arbeitgeber nicht zahlt? – Pflegekrankengeld und Freistellungsanspruch, § 45 SGB V

Ist die Anwendung des § 616 BGB vertraglich ausgeschlossen, übernimmt bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern die Krankenkasse. Voraussetzung ist, dass das erkrankte Kind bei den Eltern mitversichert ist – in diesem Fall besteht ein Anspruch auf Kinderkrankengeld bei gleichzeitiger Freistellung von der Arbeitspflicht. Nach § 47 SGB V beträgt das Kinderkrankengeld i.d.R. 90% des sog. ausgefallenen Nettoverdienstes, maximal jedoch 70 % der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Für den Kinderkrankengeldanspruch nach § 45 Abs. 1 SGB V müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Der betreuende Elternteil und das erkrankte Kind müssen gesetzlich krankenversichert sein. Das Kind kann dabei entweder selbst versichert oder im Rahmen der Familienversicherung mitversichert sein. Voraussetzung ist zudem, dass die Krankenversicherung des Elternteils einen Anspruch auf Krankengeld umfasst.
  • Das erkrankte Kind ist noch nicht zwölf Jahre alt. Ausgenommen von dieser Altersgrenze sind behinderte Kinder mit Hilfsbedürftigkeit. Für schwerkranke Kinder gilt zudem die Sonderregelung des § 45 Abs. 4 SGB V.
  • Die Notwendigkeit der Betreuung des erkrankten Kindes muss ärztlich festgestellt und bescheinigt werden. In der Regel erfolgt dies mittels eines entsprechenden Vordrucks.
  • Es darf keine andere im Haushalt lebende Person geben, die die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege des erkrankten Kindes übernehmen kann. Die Krankenkasse prüft dies anhand einer entsprechenden Erklärung des Versicherten.

 

Der Anspruch auf Kinderkrankengeld unterliegt engen zeitlichen Begrenzungen, kann jedoch in bestimmten Ausnahmefällen ausgeweitet werden. Grundsätzlich besteht der Anspruch für jeden Elternteil für maximal 10 Arbeitstage pro Kind und Kalenderjahr (2024/25: 15 Arbeitstage, § 45 Abs. 2a SGB V), für Alleinerziehende bis zu 20 Tage (2024/25: 30 Arbeitstage). Hat die Betreuungsperson mehrere Kinder, so erhöht sich der Anspruch auf 20 Arbeitstage bei zwei Kindern und bei drei oder mehr Kindern auf 25 Arbeitstage (2024/25: 35 Arbeitstage). Alleinerziehende können bei zwei Kindern Krankengeld für 40 Arbeitstage (2024/25: 60 Arbeitstage) und für 50 Arbeitstage (2024/25: 70 Arbeitstage) bei drei und mehr Kindern beanspruchen.

Neben den Anspruch auf Pflegekrankengeld tritt ergänzend ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht hinzu (§ 45 Abs. 3, 5 SGB V).

Eine Übertragung des Anspruchs auf Arbeitsbefreiung und Krankengeld von einem Elternteil auf den anderen ist möglich und wird von der Krankenkasse zugelassen, wenn (1) beide Elternteile gesetzlich krankenversichert sind und einen Anspruch auf Krankengeld haben, (2) die Betreuung des erkrankten Kindes dem einen Elternteil aus beruflichen Gründen nicht möglich ist, (3) der eine Elternteil seine ihm zustehenden Kinderkrankentage bereits vollständig ausgeschöpft hat und (4) der Arbeitgeber den Freistellungsanspruch (nochmals) gegen sich gelten lässt. Ein Rechtsanspruch darauf besteht jedoch nicht.

Die Freistellungsansprüche nach § 45 Abs. 3 und Abs. 5 SGB V – letzterer bezieht auch Arbeitnehmer ein, die nicht gesetzlich krankenversichert sind bzw. keinen Anspruch auf Krankengeld haben – sind gegenüber § 616 BGB sowie „bezahlten” tarif- und einzelarbeitsvertraglichen Freistellungsansprüchen subsidiär.

Ist § 616 BGB vertraglich ausgeschlossen – was häufig der Fall ist – und sind die Kinderkrankentage nach § 45 SGB V aufgebraucht, ist das Kind aber dennoch krank, kann sich der Arbeitnehmer auf das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB berufen. Dieses ermöglicht eine unbezahlte Freistellung, wenn die Arbeitsleistung wegen der notwendigen persönlichen Pflege des Kindes unzumutbar ist.

 

Gegenüberstellung der relevanten Vorschriften zur Arbeitsverhinderung

Norm Art des Anspruchs Adressatenkreis Voraussetzung Dauer/Umfang Besonderheiten/ Einschränkungen
§ 275 Abs.3 BGB Leistungsverweigerungsrecht (kein Vergütungsanspruch) Alle Arbeitnehmer Persönliche Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung Keine feste Dauer; einzelfallabhängig In der Praxis schwer anwendbar; kein Vergütungsanspruch
§ 616 BGB Entgeltfortzahlung bei vorübergehender Verhinderung Alle Arbeitnehmer Vorübergehende Verhinderung ohne eigenes Verschulden „Kurze Zeit“ (keine gesetzliche Definition) Häufig individual- oder tarifvertraglich ausgeschlossen
§ 19 Abs.1 Nr.2 lit.b BBiG Anspruch auf Fortzahlung der Ausbildungsvergütung Auszubildende Vorübergehende Verhinderung aus wichtigem Grund;

Verhinderung aber nur solange, wie anderweitige Betreuung nicht zumutbar organisiert werden kann

Für die Dauer der Verhinderung; höchstens 6 Wochen Unabdingbar; keine vertragliche Abweichung zulässig
§ 45 SGB V Anspruch auf unbezahlte Freistellung und Krankengeld Gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer mit gesetzlich krankenversichertem Kind Erkrankung Kind unter 12 J. oder behindert; keine andere Betreuungsperson; ärztliche Bescheinigung 2024/2025:

15 Tage pro Kind, 30 bei Alleinerziehenden

Gilt nicht bei Anwendung von §616 BGB
§ 2 Abs.1 PflegeZG Leistungsverweigerungsrecht; unbezahlte Freistellung Arbeitnehmer mit pflegebedürftigem nahen Angehörigen Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen in einer akut aufgetretenen Pflegesituation; keine andere Betreuungsperson; ärztliche Bescheinigung auf Verlangen des Arbeitsgebers Unbezahlte Freistellung bis zu 10 Arbeitstage pro Anlass  
§ 29 TVöD Tariflicher Anspruch auf Arbeitsbefreiung Beschäftigte im öffentlichen Dienst Schwere Erkrankung eines Kindes bis zum 12. Lebensjahr; keine andere Betreuungsperson Bezahlte Freistellung für bis zu 4 Arbeitstage im Kalenderjahr Gilt nicht bei Anwendung von § 45 SGB V

 

Fazit

Insgesamt wird deutlich, dass die rechtliche Lage bei Arbeitsverhinderung aufgrund der Erkrankung eines Kindes vielfältig und unübersichtlich ist. Muss ein Arbeitnehmer sein krankes Kind betreuen, darf er der Arbeit grundsätzlich fernbleiben. Ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung durch den Arbeitgeber ergibt sich daraus jedoch nicht automatisch.

Zugleich tragen Arbeitnehmer aber auch Verantwortung: Wer sich selbst krankmeldet, obwohl er tatsächlich nur ein krankes Kind pflegt und Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber bezieht, begeht nicht nur einen Vertrauensbruch, sondern auch einen Lohnfortzahlungsbetrug. Die drohenden Konsequenzen reichen von arbeitsrechtlichen Maßnahmen über zivilrechtliche Rückforderungsansprüche bis hin zur strafrechtlichen Verfolgung.

Die Krankheit des Kindes sollte daher stets offen und korrekt kommuniziert werden. Arbeitgeber sind über den tatsächlichen Grund der Arbeitsverhinderung zu informieren, insbesondere wenn kein eigener Krankheitsfall vorliegt. Gleichzeitig sollten Arbeitnehmer prüfen, ob der Arbeitgeber tariflich, vertraglich oder auf Grundlage von § 616 BGB in bestimmten Fällen eine bezahlte Freistellung gewährt.

Mehr Transparenz und eine einheitliche gesetzliche Lösung würden beiden Seiten – Arbeitnehmern wie Arbeitgebern – mehr Klarheit und Sicherheit bieten.

 

Über den Autor

Chiara Herrmann ist als juristische Mitarbeiterin am Standort Dresden tätig.

Sie absolvierte ihr Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig. Das dem Studium anschließende Referendariat durchlief sie im Gerichtsbezirk des Oberlandesgerichts Dresden beim Landgericht Dresden.

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