24. Februar 2022
Individualarbeitsrecht, Kündigungsrecht
Autor Dr. jur. Daniel Quast LL.M.
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Anscheins­beweis bei einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben

Anscheinsbeweis bei einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.01.2022, Az.: 1 Sa 159/21

 

Amtlicher Leitsätze:

Wird ein Kündigungseinschreiben per Einwurf-Einschreiben übersendet und legt der Absender den Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbelegs mit der Unterschrift des Zustellers vor, spricht der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens beim Empfänger.

Sachverhalt

Im Berufungsverfahren vor dem LAG Schleswig-Holstein stritten die Parteien nur noch über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses und dabei allein um die Frage, ob dem klagenden Arbeitnehmer ein Kündigungsschreiben der beklagten Arbeitgeberin zugegangen ist.

Am 26.10.2020 fertigte die Beklagte ein Kündigungsschreiben, mit dem sie das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 30.11.2020 kündigte. Das Schreiben adressierte die Beklagte an die Wohnanschrift des Klägers und gab es am 28.10.2020 als Einwurf-Einschreiben mit Sendungsnummer bei der Post auf. Am 29.10.2020 bestätigte der Postmitarbeiter mit seiner Unterschrift diese Sendung „dem Empfangsberechtigten übergeben bzw. das Einschreiben Einwurf in die Empfangsvorrichtung des Empfängers eingelegt“ zu haben.

Der Kläger hat behauptet, die Kündigung nie erhalten zu haben. Der Einwurf des Kündigungsschreibens in seinen Briefkaste wurde bestritten.

Die Beklagte hat dagegen vorgetragen, der Einwand, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass trotz des ordnungsgemäßen Auslieferungsbelegs die Postsendung in einen falschen Briefkasten geworfen worden sei, sei rein theoretischer Natur.

Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein

Nach Auffassung des LAG Schleswig-Holstein spreche für den Zugang des Kündigungsschreibens vom 28.10.2020 am 29.10.2020 durch Einwurf in den Wohnungsbriefkasten des Klägers der Beweis des ersten Anscheins. Beim Anscheinsbeweis gehe es um die Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung durch den Richter im Rahmen der freien Beweiswürdigung. Unzweifelhaft ermögliche die freie Beweiswürdigung dem Richter, aus feststehenden Tatsachen unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung Schlüsse auf das Vorliegen streitiger Tatsachenbehauptungen zu ziehen.

Voraussetzung für die Anwendung des Anscheinsbeweises sei ein sogenannter typischer Geschehensablauf, also ein sich aus der Lebenserfahrung bestätigender gleichförmiger Vorgang, durch dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten historischen Geschehens nachzuweisen.

Der feststehende tatsächliche Geschehensablauf führe vorliegend mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Einwurf der Sendung in das richtige Postfach bzw. den richtigen Briefkasten. Die organisatorischen Anweisungen, die für die Zustellung eines Einwurf-Einschreibens getroffen wurden, seien ein hinreichend sichere Grundlage. Beim Einwurf-Einschreiben erfolge die Ablieferung durch Einwurf der Sendung in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers. Unmittelbar vor dem Einwurf ziehe der Postangestellte das sogenannte „Peel-off-Label“ (Abziehetikett), das zur Identifizierung der Sendung dient, von dieser ab und klebt es auf den so vorbereiteten, auf die eingeworfene Sendung bezogenen Auslieferungsbeleg. Auf diesem Beleg bestätige der Postangestellte nach dem Einwurf mit seiner Unterschrift und der Datumsangabe die Zustellung. Unmittelbar vor der Zustellung müsse sich der Zusteller über die im Einzelfall zuzustellende Sendung vergewissern und seine Aufmerksamkeit auf diese Zustellung richten. Zudem müsse er nicht nur das Abziehetikett auf den Auslieferungsbeleg händisch kleben, sondern zusätzlich für die ordnungsgemäße Zustellung mit seiner Unterschrift zeichnen. Bei dieser Vorgehensweise seien fehlerhafte Zustellungen zwar nicht naturgesetzlich ausgeschlossen, aber nach der Lebenserfahrung so unwahrscheinlich, dass die Annahme eines Anscheinsbeweises gerechtfertigt ist.

Selbst die theoretische Möglichkeit eines Fehlwurfs bei einer Briefkastenanlage bzw. mehreren Briefkästen sei so unwahrscheinlich, dass zunächst einmal der Beweis des ersten Anscheins für die richtige Zustellung begründet sei.

Der Einwand, es bestehe auch die Möglichkeit, dass das Kündigungsschreiben aus seinem Hausbriefkasten durch einen Dritten entnommen worden sei, vermöge den Zugang des Kündigungsschreibens ebenfalls nicht zu beseitigen.

Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein ist zu begrüßen. Für die Praxis schafft sie dennoch nicht die gewünschte Rechtssicherheit. Aufgrund unterschiedlicher Rechtsprechung der Arbeitsgerichte könnte allenfalls eine Entscheidung des BAG die Grundlage für einen rechtssicheren Zugang per Einwurf-Einschreiben bilden. Zuletzt hatte etwa noch das ArbG Düsseldorf, Urteil vom 22.02.2019, Az.: 14 Ca 465/19, entschieden, dass der Auslieferungsbeleg eines Einwurf-Einschreibens keinen Beweis des ersten Anscheins begründe. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 12.3.2019, Az.: 2 Sa 139/18, war dagegen ebenfalls der Auffassung, dass mit der Vorlage des Einlieferungsbelegs und der Reproduktion des Auslieferungsbelegs für ein Einwurf-Einschreiben der Beweis des ersten Anscheins dafür entstehe, dass die Sendung durch Einlegen in den Briefkasten bzw. das Postfach zugegangen ist.

Wichtig ist außerdem, dass der Anscheinsbeweis durch die Gegenseite entkräftet werden kann. Der Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergibt (BGH, Urteil vom 07.02.2013, Az.: III ZR 200/11).

Bitte beachten Sie außerdem, dass allein die Vorlage des Sendungsstatus nicht ausreichend ist. Der Sendungsstatus hat mit einem Auslieferungsbeleg nichts gemein, sondern bietet dem Absender die Möglichkeit, unter Angabe der Lieferungsnummer den jeweiligen Status der Sendung, vornehmlich den Hinweis auf deren Zustellung, bestätigt zu bekommen. Aus dem Sendungsstatus geht weder der Name des Zustellers hervor, noch beinhaltet er eine technische Reproduktion einer Unterschrift des Zustellers, mit der dieser beurkundet, die Sendung eingeworfen zu haben. Die Aussagekraft des Sendungsstatus reicht nicht aus, um auf ihn den Anscheinsbeweis des Zugangs zu gründen (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.9.2020, Az: 3 Sa 38/19). Der Auslieferungsbeleg ist zudem rechtzeitig zu den Akten zu nehmen, insbesondere bei Abmahnungen, die per Einwurf-Einschreiben versendet werden. So ist in der Regel davon auszugehen, dass nach 15 Monaten kein Abruf mehr mit einer Sendungsnummer erfolgen kann. Sollte die Abmahnung vor mehr als 15 Monaten per Einwurf-Einschreiben zugegangen und nunmehr Gegenstand eines Kündigungsschutzverfahren sein, wird ein Auslieferungsbeleg nur vorgelegt werden können, wenn dieser bereits zuvor abgerufen und hiterlegt wurde.

Sollten Sie sich dennoch für den Zugang durch Einwurf-Einschreiben entscheiden, ist darauf zu achten, nicht nur den Auslieferungsbeleg anzufordern, sondern auch im Übrigen die ordnungsgemäße Absendung zu protokollieren. Das bedeutet, dass ein Mitarbeiter, der später auch als Zeuge auftreten könnte, protokolliert, dass das Schreiben in den Briefumschlag gegeben und dieser Briefumschlag mit der Sendungsnummer versendet wurde.

Rechtsicher kann ein Zugang nur durch Boten (z. B. Mitarbeiter) erfolgen, die bezeugen können und zu Protokoll geben, dass das Schreiben in den Briefumschlag gegeben und dieser in den Briefkasten des Empfängers – unter Angabe von Datum, Uhrzeit, Adresse und Namensschild – eingeworfen wurde.

 

Über den Autor

Herr Dr. jur. Quast LL.M. ist Rechtsanwalt und Mediator am Attendorner Standort der Sozietät Dr. Schreiner + Partner. Zudem ist er Lehrbeauftragter der FernUniversität Hagen im Modul Arbeitsvertragsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Nach dem Abschluss seines Referendariats war er als Rechtsanwalt im Wirtschaftsrecht und anschließend als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen tätig, an der er auch promovierte. Zudem erwarb er die Zusatzqualifikationen als Master of Laws im Wirtschaftsrecht sowie als Mediator in der Wirtschaftsmediation.

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