17. Dezember 2021
Individualarbeitsrecht, Kündigungsrecht, Arbeits- und Gesundheitsschutz
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Arbeitgeber­seitige Fehler im BEM-Verfahren

Sinn und Zweck des BEM-Verfahrens

Das betriebliche Eingliederungsmanagement, kurz BEM ist in § 167 Abs. 2 SGB IX geregelt.

Zweck des ergebnisoffenen Betrieblichen Eingliederungsmanagements ist es, den Ursachen von Arbeitsunfähigkeitszeiten einer oder eines Beschäftigten nachzugehen und nach Möglichkeiten zu suchen, künftig Arbeitsunfähigkeitszeiten zu vermeiden oder zumindest zu verringern. Seit dem 01.05.2004 verlangt der Gesetzgeber von den Arbeitgebern ein Betriebliches Eingliederungsmanagement. Damit soll Arbeitnehmern, die länger als 6 Wochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, geholfen werden, möglichst frühzeitig wieder im Betrieb arbeiten zu können. Leistungen zur Rehabilitation, die der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit dienen, sollen frühzeitig erkannt und die notwendigen Leistungen rechtzeitig eingeleitet werden. Hierdurch soll der Arbeitsplatz der oder des Beschäftigten langfristig erhalten bleiben.

Alle Arbeitgeber, unabhängig von Größe und Gegenstand des Unternehmens und unabhängig von der Existenz eines Betriebsrates oder Personalrates, sind gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX verpflichtet ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Diese Pflicht des Arbeitgebers besteht indes gegenüber allen, auch den nicht behinderten Beschäftigten (BAG 12.07.2007 – 2 AZR 716/06).

 

BEM als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Kündigung

Die Durchführung eines BEM-Verfahrens ist anders als die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG keine Wirksamkeitsvoraussetzung einer Beendigungskündigung. Dieses ist jedoch Ausdruck des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Durch die Gerichte wird daher im Rahmen der Verhältnismäßigkeit geprüft, ob der Arbeitgeber ein BEM-Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt hat. Ist dies nicht der Fall, trifft ihn eine gesteigerte Darlegungs- und Beweislast. Er hat in diesem Fall darzulegen, dass es bei ordnungsgemäßer Durchführung eines BEM-Verfahrens zu keinem anderen Ergebnis als zu einer Kündigung gekommen wäre. Aufgrund der Tatsache, dass erst im Rahmen des BEM-Verfahrens eruiert werden soll, inwiefern den hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Arbeitnehmers z.B. durch eine Versetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz entgegengewirkt werden kann, wird dieser Beweis in der Regel durch den Arbeitgeber nicht zu führen sein. Im Ergebnis verliert der Arbeitgeber daher regelmäßig den Kündigungsschutzprozess.

Der Beweis, dass die ordnungsgemäße Durchführung eines BEM-Verfahrens zu keinem anderen Ergebnis als zur Kündigung geführt hätte, kann grundsätzlich bis zur letzten mündlichen Verhandlung des Kündigungsschutzprozesses geführt werden. Es besteht hier die Möglichkeit, seitens des Arbeitgebers diese Bestätigung durch ein parallel zum Kündigungsschutzverfahren durchgeführtes BEM-Verfahren zu erbringen. Voraussetzung ist hierfür allerdings, dass die Einschätzung auf Umständen beruht, die bereits zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv vorlagen.

Problematisch ist hierbei allerdings, dass die Durchführung des BEM-Verfahrens für den Arbeitnehmer freiwillig ist. Versagt dieser also seine Zustimmung für ein „weiteres“ Verfahren – in der Regel aufgrund der Beratung durch seinen Prozessbevollmächtigten – wird ein weiteres Verfahren scheitern. Die oben dargestellte Möglichkeit der Korrektur ist daher nur mit Einverständnis des Arbeitnehmers möglich.

Verweigert der Arbeitnehmer allerdings die Zustimmung zum Verfahren führt dies zu Nachteilen bezüglich der Darlegungslast im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses bei einer krankheitsbedingten Kündigung.

 

Fehler im Einladungsschreiben

Bereits das Einladungsschreiben sorgt in der Praxis regelmäßig für viele vermeidbare Fehler. Arbeitgeber müssen hier darauf achten, sämtliche potenziellen Beteiligten im Einladungsschreiben zu erwähnen. Aufgrund der kürzlich geänderten Vorgaben ist es daher erforderlich, das Einladungsschreiben dahingehend anzupassen, dass es dem Arbeitnehmer seit Juni 2021 erlaubt ist, eine Vertrauensperson eigener Wahl zum Gespräch hinzuzuziehen.

Nach Auffassung des LAG Hessen (Urteil vom 13.08.2018 – 16 Sa 1466/17) ist ein BEM nicht ordnungsgemäß, wenn der Arbeitgeber nicht darauf hinweist, dass von ihm die örtlichen gemeinsamen Rehabilitationsträger hinzugezogen werden, sofern Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen. Das LAG Nürnberg, (Urteil v. 18.02.2020 – 7 Sa 124/19) hat entschieden, dass eine ordnungsgemäße Einladung des Arbeitnehmers zum BEM-Verfahren nicht vorliegt, wenn im Einladungsschreiben mitgeteilt wird, dass sich der Arbeitnehmer vor dem BEM-Termin beim Werksarzt einzufinden hat zur Erstellung eines positiven Leistungsprofils ohne Aufklärung darüber, dass der Arbeitnehmer auch auf den Besuch beim Werksarzt verzichten kann.

Wie die obigen Beispiele zeigen, ist dem Arbeitgeber anzuraten, bereits beim Abfassen des Einladungsschreibens große Sorgfalt walten zu lassen.

Ist die Durchführung des Verfahrens in einer Betriebsvereinbarung inklusive Mustereinladung geregelt, muss dieses bei geänderten Vorgaben entsprechend angepasst werden. Diesbezüglich gilt es das Recht des Betriebsrats auf Mitbestimmung zu berücksichtigen.

 

Mögliche Heilung von Verfahrensfehlern

Dem Ziel des BEM-Verfahrens förderlich wäre es, wenn der Arbeitgeber nach Ausspruch der Kündigung, im laufenden Kündigungsschutzprozess auf die Rüge des Klägers, ein ordnungsgemäßes Verfahren sei nicht eingeleitet worden, mit der erneuten Einleitung eines Verfahrens reagieren könnte und der Arbeitnehmer seinerseits dieses erneute Verfahren nicht pauschal ablehnen könnte, ohne dass es zu einer Umkehr der Darlegungs-und Beweislast käme. Eine Benachteiligung des Mitarbeiters kann ich hierin freilich nicht gesehen werden. Das Risiko, dass sich ein Arbeitnehmer frühzeitig dazu entscheidet, das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung zu beenden, ist gering, denn sollte sich im „nachgeholten“ Verfahren herausstellen, dass es geeignete Maßnahmen gibt, um die krankheitsbedingten Fehlzeiten zu reduzieren, wäre die Kündigung letztlich rechtsunwirksam.

Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die Rechtsprechung die Anforderungen an die Substantiierung etwaiger Verfahrensfehler angesichts der Zielrichtung des BEM-Verfahrens konkretisiert, um so einer gegebenenfalls allein prozesstaktisch, motivierten Nichtteilnahme an einem BEM-Gespräch entgegenzuwirken. Ganz unabhängig hiervon sei dem Arbeitgeber angeraten, auch nach Ausspruch einer Kündigung weitere Gesprächsangebote zu unterbreiten. Diese Tatsache und die Reaktion des Arbeitnehmers hierauf wäre im Rahmen der prozessualen Gesamtabwägung ebenfalls zu berücksichtigen.

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