06. Januar 2021
Betriebsverfassungsrecht, Compliance
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Darf der Betriebsrat elektronische Personalakten ohne Zustimmung der Arbeitnehmer einsehen?

Leitsätze – LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2020, Az.: 3 TaBV 65/19

Ein generelles Einsichtsrecht des Betriebsrats(vorsitzenden) in die elektronischen Personalakten der Arbeitnehmer, das nicht von der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer abhängig ist, ist wegen Verstoßes gegen § 75 Abs. 2 BetrVG i. V. m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG unwirksam. Es verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer unangemessen, da es den örtlichen Betriebsratsvorsitzenden ein permanentes lesendes Zugriffsrecht auf deren Personalakten auch ohne deren Zustimmung einräumt. Eine entsprechende Vereinbarung verstößt gegen § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, nachdem die Betriebsparteien gehalten sind, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der in den Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.

I. Sachverhalt

Die Arbeitgeberin vereinbarte mit ihrem Gesamtbetriebsrat am 29.03.2012 die „Gesamtbetriebsvereinbarung über die Einführung und Nutzung von elektronischen Personalakten (EFM)“. Auszugsweise enthielt die Gesamtbetriebsvereinbarung folgende Regelungen:

„3. Erfassung der Dokumente und Unterlagen

Alle für die Personalakte bestimmten Dokumente werden in die elektronische Personalakte eingescannt. […] Der Arbeitgeber stellt nachweislich sicher, dass das Scannen der Unterlagen unter Beachtung aller datenschutzrechtlichen Bestimmungen erfolgt und unberechtigte Personen keinen Zugriff auf die Dokumente und Unterlagen haben.

[…]

  1. Zugriffsberechtigungen

5.1 Der Zugriff auf die elektronische Personalakte ist ausschließlich aus dem SAP HR System, gemäß dem dafür geltenden Berechtigungskonzept, heraus zulässig.

[…]

5.4 Alle Zugriffe und Änderungen der Zugriffsberechtigungen werden protokolliert. Der Gesamtbetriebsrat kann die Protokolle jederzeit einsehen.

[…]

  1. Rechte und Pflichten des Betriebsrats.

8.1 Die örtlichen Betriebsräte können jederzeit unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter die Einhaltung dieser Gesamtbetriebsvereinbarung überprüfen. Dazu sind ihm auf Anforderung die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

8.2 Über technische Änderungen des Systems wird der Gesamtbetriebsrat unverzüglich informiert. Sofern sich daraus Veränderungen bei der Nutzung, der Funktionalität oder den Schnittstellen ergeben, sind diese vorher, entsprechend den gesetzlichen und betrieblichen Regelungen, zwischen den Betriebsparteien zu vereinbaren.

8.3. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende und der örtliche Betriebsratsvorsitzende erhält permanenten Zugriff auf die elektronische Personalakte mit Ausnahme der Akten der leitenden Mitarbeiter und der Mitarbeiter des Personalbereiches. Die örtlichen Betriebsratsvorsitzenden erhalten dabei Zugriff auf die Akten des Wahlbetriebes, für den sie zuständig sind. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende erhält Zugriff auf die Akten des gesamten Unternehmens.

8.4 Der Betriebsrat verpflichtet sich, seine Rechte aus Ziff. 8.3 nicht zu anderen als zu Kontrollzwecken im Sinn dieser Gesamtbetriebsvereinbarung auszuüben.

[…]“

Seit 2013 verweigerte die Arbeitgeberin dem Gesamtbetriebsrat sowie den im Beschlussverfahren vor dem LAG Düsseldorf ebenfalls beteiligten örtlichen Betriebsräten einen Zugriff auf die elektronischen Personalakten.

Durch den am 06.06.2018 vor dem ArbG Düsseldorf eingegangen Antrag machte der Gesamtbetriebsrats das Zugriffsrecht der Betriebsratsvorsitzenden für die örtlichen Betriebsräte nach Ziffer 8.3 der Gesamtbetriebsvereinbarung geltend. Mit Beschluss vom 10.10.2019 hat das ArbG Düsseldorf die Anträge des Gesamtbetriebsrats zurückgewiesen. Die örtlichen Betriebsräte stellten keine Anträge. Am 21.11.2019 wurde bei dem LAG Düsseldorf Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt und dieser zugleich begründet. Der Gesamtbetriebsrat beantragte im Verfahren vor dem LAG Düsseldorf u. a., den Beschluss des ArbG Düsseldorf abzuändern und der Arbeitgeberin aufzugeben, den Vorsitzenden der örtlichen Betriebsräte ein elektronisches Leserecht auf die in der „Gesamtbetriebsvereinbarung über die Einführung und Nutzung von elektronischen Personalakten (EFM)“ vom 29.03.2012 geregelten elektronischen Personalakten der Arbeitnehmer, die ihrem jeweiligen Betrieb zugeordnet sind, mit Ausnahme der Akten der leitenden Arbeitnehmer und der Arbeitnehmer des Personalbereichs einzuräumen.

II. Die Entscheidung des LAG Düsseldorf

Das LAG Düsseldorf erachtete die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats zwar als zulässig, jedoch nicht als begründet.

Ein generelles Einsichtsrecht des Betriebsrats(vorsitzenden) in die elektronischen Personalakten der Arbeitnehmer, das nicht von der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer abhängig ist, sei wegen Verstoßes gegen § 75 Abs. 2 BetrVG i. V. m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG unwirksam. Ein solches Einsichtsrecht verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer unangemessen, da es den örtlichen Betriebsratsvorsitzenden ein permanentes lesendes Zugriffsrecht auf deren Personalakten, auch ohne deren Zustimmung, einräume. Eine entsprechende Vereinbarung verstoße gegen § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, nachdem die Betriebsparteien gehalten sind, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der in den Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse insbesondere die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Zwar könne das allgemeine Persönlichkeitsrecht außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung auch durch im Rahmen der Regelungskompetenz der Betriebsparteien geschlossene Betriebsvereinbarungen eingeschränkt werden. Dabei sei jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, die Regelung müsse also zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein.

Das Zugriffsrecht sei jedoch schon weitestgehend nicht geeignet, den angestrebten Zweck zu erreichen. In Ziffer 8.4 der Gesamtbetriebsvereinbarung sei als alleiniger Zweck des Zugriffsrechts festgelegt, dass dieses nicht zu anderen als zu Kontrollzwecken im Sinne der Gesamtbetriebsvereinbarung ausgeübt werden dürfe. Damit scheide als Zweck etwa die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern nach § 80 Abs. 1 Nr. 2a BetrVG oder die Förderung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer nach § 80 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG aus. Ein lesender Zugriff auf die elektronischen Personalakten vermöge wesentliche Kontrollzwecke im Sinne der Gesamtbetriebsvereinbarung von vornherein überhaupt nicht zu erfüllen. Allein die Überprüfung, ob die Personalakten korrekt im Sinne der Ziffer 3 der Gesamtbetriebsvereinbarung angelegt sind und ob die Löschfristen der Ziffer 6 beachtet werden, ließe sich über den lesenden Zugriff auf den Personalakteninhalt vornehmen. Dagegen sei durch ein entsprechendes Einsichtsrecht keine Kontrolle möglich, ob entgegen der Gesamtbetriebsvereinbarung unberechtigte Personen Zugriff genommen haben, eine Auswertung zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle, eine unautorisierte Weitergabe nicht anonymisierter Daten oder ein Datentransfer und / oder eine Speicherung ins bzw. im Ausland erfolgt ist oder ob Mitarbeiter und Führungskräfte über die Rechte und Pflichten nach Ziffer 7.2 der Gesamtbetriebsvereinbarung informiert worden sind.

Auch sei das Zugriffsrecht zur Erreichung des angestrebten Zwecks nicht erforderlich. Eine Erforderlichkeit liege vor, wenn zur Zielerreichung keine anderen, gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkende Mittel zur Verfügung stünden. Der Kontrolle der Einhaltung der Vorgaben der Gesamtbetriebsvereinbarung (und eben nicht zum Zwecke allgemeiner Information zu allen nach § 80 Abs. 1 BetrVG den Betriebsräten überantworteten Aufgaben) würden bereits die Kontrollrechte der Gremien nach Ziffer 5.4 und Ziffer 8.1 der Gesamtbetriebsvereinbarung dienen. So lasse sich etwa über Ziffer 8.1 der Gesamtbetriebsvereinbarung die auch über Ziffer 8.3 erreichbare Kontrolle der korrekten Aktenanlage und der Beachtung der Löschfristen erreichen. Weiter werde zum Zweck der Kontrolle der Einhaltung der Regelungen der Gesamtbetriebsvereinbarung den Betriebsratsvorsitzenden ein permanentes Zugriffsrecht auf alle Inhalte der Personalakten eingeräumt, obwohl die Gesamtbetriebsvereinbarung bereits unter Ziffern 8.1 und 5.4 weniger belastende und abgewogenere Kontrollregelungen enthalte und schon von daher nicht erkennbar sei, welcher zusätzliche besondere Erkenntnisgewinn nun aus Ziffer 8.3 GBV EFM folgen solle.

Letztlich hielt das LAG Düsseldorf das konkrete Einsichtsrecht auch für unangemessen. Die zeitlich und inhaltlich unbeschränkte Einsicht in die Personalakten nahezu aller Mitarbeiter des Betriebs durch die Betriebsratsvorsitzenden stehe außer Verhältnis zu dem damit erhofften zusätzlichen Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Kontrolle der Einhaltung der Gesamtbetriebsvereinbarung. Es sei wohl schon anzunehmen, dass von vornherein ein Zugriffsrecht des Betriebsrats auf Personalakteninhalte zum Zweck der Kontrolle der Einhaltung von im Wesentlichen Datenschutzregelungen einer Gesamtbetriebsvereinbarung ohne Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer unzulässig ist. Auch bestehe nach Auffassung des LAG Düsseldorf eine erhebliche Missbrauchsgefahr, weil der Zugriff eben nicht dazu dienen dürfe, Informationen beispielsweise zur Gleichstellungsproblematik oder zum Thema der Förderung der Beschäftigung älterer Mitarbeiter aus den Personalakten zu erlangen und zusammenzustellen.

Zulässig und denkbar wäre nach Auffassung des LAG Düsseldorf dagegen einerseits ein gänzlicher Verzicht auf das ungehinderte Zugriffsrecht der Betriebsratsvorsitzenden als auch die Beschränkung auf Stichprobenkontrollen anstatt des permanenten Vollzugriffs und bei diesen weiter eine Differenzierung danach, dass Arbeitnehmer ihre Zustimmung erteilen und der Inhalt des Leserechts auf bestimmte Bereiche der Personalakte beschränkt wird.

III. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung des LAG Düsseldorf zeigt zunächst auf, wie wichtig eine saubere und rechtlich einwandfreie Gestaltung von Betriebsvereinbarungen ist. Vorliegend scheiterte das Begehren des Gesamtbetriebsrats vor allem daran, dass nach der Gesamtbetriebsvereinbarung die Ausübung des Zugriffsrechts nicht zu anderen als zu Kontrollzwecken im Sinne dieser Gesamtbetriebsvereinbarung ausgeübt werden durfte. Die Entscheidung ist daher nicht dahingehend zu verstehen, dass eine Betriebsvereinbarung über ein Einsichtsrecht des Betriebsrats in die elektronischen Personalakten der Arbeitnehmer stets ausscheidet, sondern durchaus auch Regelungen denkbar sind, die ein Einsichtsrecht – in Ausnahmefällen – begründen können. Es ist aber aufgrund der Entscheidung des LAG Düsseldorf jedenfalls davon auszugehen, dass ein permanentes und uneingeschränktes Einsichtsrecht des Betriebsrats in jedem Fall unverhältnismäßig und daher unwirksam ist. Denkbar sind – wie das LAG Düsseldorf aufzeigt – aber etwa beschränkte Zugriffsrechte (z.B. Stichprobenkontrollen), die zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sind. Gleichwohl sollte der Arbeitgeber stets sorgsam überlegen, ob er dem Betriebsrat ein solches Zugriffsrecht einräumen möchte, denn nach den gesetzlichen Bestimmungen steht dem Betriebsrat kein originäres Recht zur Einsicht in die Personalakten zu. Er kann nur Einsicht nehmen, wenn ein Arbeitnehmer ihn gemäß § 83 Abs. 1 S. 2 BetrVG bei der Einsichtnahme seiner Personalakte hinzuzieht bzw. wenn der betroffene Arbeitnehmer einer Einsichtnahme durch den Betriebsrat zustimmt. Aus Arbeitgebersicht besteht daher grundsätzlich keine Veranlassung, dem Betriebsrat ein solches Einsichtsrecht im Wege einer Betriebsvereinbarung zuzugestehen.

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