13. Juli 2021
Individualarbeitsrecht
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Die Gewährung des Urlaubs

Der folgende Artikel befasst sich mit einem der großen „Fußgängerpunkte“ des Urlaubsrechts. Die Gewährung von Urlaub wird in der Praxis kaum in größerem Umfang diskutiert bzw. problematisiert. Dennoch lohnt sich der Blick auf diesen Aspekt des Urlaubsrechts, insbesondere um ein tieferes Verständnis der Systematik insgesamt zu gewinnen.

Vorweg sei darauf hingewiesen, dass die folgende Darstellung sich ausschließlich mit dem gesetzlichen Urlaub befasst. Ein darüber hinaus gewährter vertraglicher oder auch tarifvertraglicher Urlaub kann anderen Regelungen unterliegen.

Hinweis:

In einem Arbeitsvertrag sollte stets zwischen dem gesetzlichen und dem vertraglichen Urlaubsanspruch unterschieden werden. Erfolgt eine solche Unterscheidung nicht, so geht die Rechtsprechung davon aus, dass auch der übergesetzliche Urlaubsanspruch den gesetzlichen Regelungen folgt.

Weiter sollte im Arbeitsvertrag, spätestens jedoch in der Freistellungserklärung geklärt werden, dass zunächst der gesetzliche Urlaubsanspruch und erst danach der übergesetzliche Urlaubsanspruch gewährt wird. Dies hat den Hintergrund, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch z.B. im Krankheitsfall erst nach 15 Monaten verfällt. Der vertragliche, also übergesetzliche Urlaub kann im Gegensatz dazu nahezu völlig frei gestaltet werden, sofern eine entsprechende Trennung im Vertrag besteht.

Die Erfüllung des Urlaubsanspruchs erfolgt grundsätzlich durch die sog. Gewährung „in natura“ und soll der Erholung des Arbeitnehmers dienen.

1. Das Urlaubsentgelt

Für den Zeitraum der Urlaubsgewährung ist der Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht befreit. Es handelt sich jedoch nicht um ein vollständiges Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Insbesondere die Entgeltpflicht wird als Urlaubsentgeltpflicht des Arbeitgebers beibehalten (vgl. § 11 BUrlG).

Achtung:

Bei der Bemessung des Urlaubsentgelts sind Überstunden wegen des Ausnahmecharakters und der Unvorhersehbarkeit derselben regelmäßig nicht mit einzubeziehen (Urt. v. 13.12.2018 – C-385/17 – Hein). Der EuGH deutet jedoch an, dass „verfestigte“ Überstunden berücksichtigt werden müssen (Urt. v. 15. 9. 2011 − C-155/10 – Williams; Urt. v. 22.5.2014 – C-539/12 – Lock.).

Nach deutschem Recht bzw. der Rechtsprechung des BAG sind Überstunden nur zu berücksichtigen, soweit sie an diesem Tag tatsächlich angefallen wären (BAG, Urt. v. 27.02.2018 – 9 AZR 238/17). Dies betrifft den sog. Zeitfaktor, also die Anzahl der Arbeitsstunden, die zur Berechnung des Urlaubsentgelts zugrunde gelegt werden. Bei der Bestimmung des sog. Geldfaktors bleiben Überstunden außen vor (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG). Bei der Berechnung wird also der „normale“ Stundenlohn mit dem Zeitfaktor multipliziert. Trotz Kritik in der Literatur, hat der EuGH diese Regelung bestätigt (Urt. v. 13.12.2018 – C-385/17 – Hein).

Lediglich Phasen der Kurzarbeit dürfen nach dem EuGH nicht zu einer Kürzung des Urlaubsentgelts führen. Die Möglichkeit tariflicher Abweichungen gem. § 13 BUrlG ist nach EuGH richtlinienwidrig.

2. Die Befreiung von der Arbeitsleistung

Die Freistellungserklärung muss konkret auf die Erfüllung des gesetzlichen, vertraglichen oder tariflichen Urlaubsanspruchs gerichtet sein (BAG, Urt. v. 25.01.1994 – 9 AZR 312/92). Sollte der Arbeitnehmer bereits aus anderen Gründen für den entscheidenden Zeitraum freigestellt sein, so ist eine Erfüllung des Urlaubsanspruchs ausgeschlossen.

Die Befreiung von der Arbeitspflicht ist grundsätzlich allumfassend zu verstehen, d.h. der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet auch nur irgendeine Arbeitsleistung zu erbringen. In der Folge besteht auch keine Verpflichtung auf einzelne E-Mails oder Telefonate des Arbeitgebers zu antworten bzw. zu reagieren.

Wichtig:

Bei Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ist der Arbeitnehmer „aus anderen Gründen freigestellt“ (vgl. § 3 EntFzG und § 9 BUrlG). Die Freistellung erfolgt gem. § 3 EntFzG und damit aus anderem Grunde. Der gewährte Urlaubsanspruch kann in solchen Fällen nicht erfüllt werden, dies muss bzw. kann grundsätzlich zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Wichtig ist, dass diese Rechtsfolge jedoch nur eintritt, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweist.

Auch durch das mutterschaftsrechtliche Beschäftigungsverbot wird die Erfüllung des Urlaubsanspruchs verhindert. Dies gilt selbst dann, wenn der Urlaub zuvor schon festgelegt war (BAG Urt. v. 09.08.2016 – 9 AZR 575/15).

Der Urlaubsanspruch entsteht auch weiter in einem ruhenden Arbeitsverhältnis (BAG, Urt. v. 11.07.2006 – 9 AZR 535/05). Es bestehen in diesen Fällen jedoch Kürzungsmöglichkeiten, siehe hierzu den Mandantenbrief Nr. 3.

Zur Gewährung des entstandenen und fälligen Urlaubsanspruchs kann die Freistellungserklärung auch schon vorher abgegeben werden. Dies unter der Bedingung, dass der Erfolg erst beim Entstehen des Anspruchs eintreten soll. Die Freistellungserklärung muss deutlich machen, welchen Urlaubsanspruch der Arbeitgeber erfüllen will, einen Teilurlaubsanspruch oder den ggf. bestehenden vollen Urlaubsanspruch. Etwaige Zweifel gehen zu Lasten des Arbeitgebers als Erklärendem (BAG, Urt. v. 17. 5. 2011 − 9 AZR 189/10).

3. Rücknahme der Freistellungserklärung?

Die Freistellungserklärung ist als empfangsbedürftige Willenserklärung grundsätzlich mit Zugang bindend. Anfechtung (§§ 119, 123 BGB), Kondiktion (812 ff. BGB) oder das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) sind die gängigen Instrumente, mit denen sich der Arbeitgeber von einer Willenserklärung, also auch von der Gewährung des Urlaubs lösen könnte. Hätte der Arbeitnehmer die Urlaubsgewährung also z.B. durch eine Täuschung erwirkt, könnte der Arbeitgeber diese anfechten.

Nach BAG (Urt. v. 20.06.2000 – 9 AZR 405/99) soll es dem Arbeitgeber auch möglich sein zum Zwecke absolut notwendiger Not- und Erhaltungsarbeiten eine Freistellungserklärung zurückzunehmen, falls das Festhalten an derselben unzumutbar sein sollte.

Nach Urlaubsantritt jedoch ist das einseitige Zurückholen des Arbeitnehmers aus dem Urlaub praktisch nicht möglich. Überhaupt ist umstritten, ob dies überhaupt rechtlich zulässig sein soll. Das BAG (Urt. v. 19.12.1991 – 2 AZR 367/91) hat dies – im Zusammenhang mit einer Kündigung – bejaht, später jedoch verneint (BAG, Urt. v. 20.06.2000 – 9 AZR 405/99). So ist der Arbeitnehmer schon nicht verpflichtet seine Urlaubsanschrift zu hinterlassen oder auf Anrufe oder E-Mails zu reagieren. Es ist daher festzuhalten, dass ein etwaiger Rückruf grundsätzlich nur im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer erfolgen kann. Ein Anspruch des Arbeitgebers ist kaum umzusetzen und nur in extremen Notfällen denkbar.

4. Die zeitliche Festlegung des Urlaubs

Die Festlegung des Urlaubs erfolgt grundsätzlich unter der Berücksichtigung der Bedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und der betrieblichen Belange andererseits. Der Arbeitgeber kann den Urlaub weder nach billigem Ermessen gem. § 315 BGB (BAG, Urt. v. 18.12.1986 – 8 AZR 502/84), noch nach den Grundsätzen der Gattungsschuld gem. § 243 BGB (BAG, Urt. v. 09.08.1994 – 9 AZR 384/92) festlegen. Die Urlaubseinteilung ist auch nicht vom Direktionsrecht gem. § 106 GewO umfasst.

Grundsätzlich beginnt die Festlegung des Urlaubs durch eine Wunschäußerung des Arbeitnehmers. Ohne eines vorherigen Wunsches des Arbeitgebers bestehen zwei Möglichkeiten der Festlegung. Entweder der Urlaub verfällt nach einer ordnungsgemäßen Belehrung seitens des Arbeitgebers und eines autonomen „Verzichts“ seitens des Arbeitnehmers (EuGH, Urt. v. 6.11.2018 – C-684/16; BAG, Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 423/16) oder der Arbeitgeber ordnet den Urlaub einseitig an. Letzteres greift jedoch nur, wenn der Arbeitnehmer eine solche einseitige Anordnung akzeptiert hat(BAG, Urt. v. 15. 6. 2004 – 9 AZR 431/03) oder antritt (BAG, Urt. v. 19.9.2000 – 9 AZR 504/99).

Der Arbeitnehmer kann – auch nachdem der Urlaub einseitig „angeordnet“ wurde – weiter Wünsche äußern, eine nicht ordnungsgemäße Konkretisierung rügen und ein Annahmeverweigerungsrecht geltend machen (BAG, Urt. v. 13.12.2005 – 3 AZR 217/05). Dabei kann der Arbeitgeber einen beliebigen Grund vortragen, wohl auch wenn Betriebsferien angeordnet sind (LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.06.2002 – 11 Sa 378/02) oder der Urlaub einseitig in eine längere Kündigungsfrist gelegt wurde, in welcher Ausweichmöglichkeiten grundsätzlich bestehen (BAG, Urt. v. 22.09.1992 – 9 AZR 483/91). Der Arbeitgeber kann diesen Wunsch nur dann unbeachtet lassen, soweit er seinerseits bzw. Leistungsverweigerungsrechte gegen den Wunsch des Arbeitgebers vortragen kann. Die Gründe für solche Ablehnungen der Arbeitgeber sind regelmäßig in dringenden betrieblichen Belangen und/oder Urlaubswünschen anderer Arbeitnehmer zu suchen.

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