29. April 2022
Individualarbeitsrecht, Arbeitsvertragsrecht
Autor Mirja Ammermann
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Die Online-Arbeits­unfähigkeits­bescheinigung

Die digitale Weiterleitung von Arbeitsunfähigkeitsdaten durch die Krankenkassen an die Arbeitgeber ist auf den Weg gebracht. Der Start wurde für die Arbeitgeber nun auf den 1. Januar 2023 gelegt. Für Vertragsärzte heißt das, dass sie bis zum 31. Dezember 2022 neben der digitalen Übermittlung der AU-Daten an die Krankenkassen eine Papierbescheinigung ausstellen, die der Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerin an den Arbeitgeber weiterleitet.

Das digitale Verfahren ab Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist damit anerkannt. Das heißt aber noch nicht, dass der Weg bis zur Ausstellung der AUB ebenfalls ausschließlich digital erfolgen kann und insbesondere vom Arbeitgeber anerkannt werden muss.

Entscheidend dabei ist, dass einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, sofern sie ordnungsgemäß ausgestellt ist, ein hoher Beweiswert bzgl. einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin zukommt. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann aber erschüttert werden. In folgenden Fällen kommt beispielsweise die Erschütterung in Betracht:

  • angekündigte Erkrankung (hier kommt darüber hinaus je nach Fallkonstellation eine fristlose Kündigung in Betracht)
  • Erkrankung nach Ablehnung eines Urlaubsantrages im beantragten Urlaubszeitraum
  • häufiger Arztwechsel

In der Folge kann der Arbeitgeber Zweifel an der bestehenden Arbeitsunfähigkeit anzeigen und mitteilen und die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall einstellen. Zumindest bis es dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin – in der Regel vor dem Arbeitsgericht – mit einer Zahlungsklage gelingen sollte, seine bzw. ihre Arbeitsunfähigkeit mit anderen Mitteln als der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, zu beweisen. Den Beweis der Arbeitsunfähigkeit muss der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin nunmehr dadurch führen, dass er oder sie detailliert und konkret vorträgt, inwiefern er oder sie tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Hierzu wird er bzw. sie in der Regel dem behandelnden Arzt als Zeugen benennen und diesen von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbinden müssen, welcher sodann Auskunft zu Diagnose, Krankheitsverlauf und Auswirkungen auf die Arbeitsunfähigkeit am konkreten Arbeitsplatz des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin gibt. Gelingt dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin der Beweis seiner/ihrer Arbeitsunfähigkeit auch dann nicht vollständig, so gehen die Zweifel zu seinen oder ihren Lasten. Der Arbeitgeber kann die Entgeltfortzahlung endgültig verweigern.

Regelmäßig erfolgen die Krankschreibung und Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsunfähigkeitsbescheinigung durch persönliche Vorstellung und Untersuchung bei einem Arzt oder einer Ärztin in der Praxis.

Davon gibt es Ausnahmen:

Gemäß einer Corona-Sonderregelung besteht aktuell weiterhin die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung bei leichten Atemwegserkrankungen. Diese Corona-Sonderregelung wurde am 18.03.2022 nochmals um zwei Monate und damit bis zum 31.05.2022 verlängert. Dabei müssen sich die niedergelassenen Ärzte und Ärztinnen allerdings auch persönlich durch eingehende telefonische Befragung von dem Gesundheitszustand des Patienten oder der Patientin überzeugen. Unabhängig davon ist die Krankschreibung per Videosprechstunde möglich.

Diesen Ausnahmen ist gemein, dass ein persönlicher Kontakt mit dem Arzt oder der Ärztin erfolgt.

Dies ist möglich, da Ende 2018 das bis dahin geltende Fernbehandlungsverbot dahingehend gelockert wurde, dass „Kommunikationsmedien unterstützend“ eingesetzt werden können und eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien „im Einzelfall erlaubt“ ist, „wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt, insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird“.

Aufgrund der Lockerung des Fernbehandlungsverbot haben in der Vergangenheit aber auch die Anbieter zugenommen, die eine sogenannte Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen.

Auch wenn dies damit nach dem Berufsrecht der Ärzte möglich ist, sagt dies noch nichts über den arbeitsrechtlichen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus.

Die Ausstellung der Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolgt dabei z. B. nachdem ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin einen Fragebogen zu verschiedenen Krankheitssymptomen beantwortet hat. Problematisch und fraglich ist, ob tatsächlich ein – wie auch immer – persönlicher Kontakt zum Arzt, mithin eine ärztliche Untersuchung, stattgefunden hat.

So gibt es zur Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein Urteil des Arbeitsgerichts Berlin, Urteil vom 01.04.2021. Danach ist ein direkter Arztkontakt, welcher auch per Telefon oder Video möglich ist, für eine ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zwingend erforderlich ist. Das Arbeitsgericht Berlin entschied, dass der Arbeitgeber nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet war, da der Arbeitnehmer im Fall schlussendlich seine Arbeitsunfähigkeit nicht nachgewiesen habe. Die Online-Krankschreibungen waren aus Sicht des Gerichts nicht geeignet, die Arbeitsunfähigkeit zu beweisen. Für eine „ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ im Sinne der BAG-Rechtsprechung fehle es vorliegend an einer ärztlichen Untersuchung des Arbeitnehmers, stellte das Gericht fest. Es gab weder ein Gespräch, noch eine Untersuchung.

In der Praxis liegt die erste und größte Herausforderung wohl darin, eine Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung überhaupt zu erkennen. Anhaltspunkte können sein, dass stets ein anderer Arzt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellt, die Praxis ungewöhnlich weit vom Wohnort des Arbeitnehmers entfernt ist und/oder die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in digitaler Form übersendet wird.

Damit es hinsichtlich des Umgangs mit Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erst gar nicht zu Schwierigkeiten kommt – denn gesicherte Rechtsprechung existiert noch nicht – und die Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerinnen auch erst gar nicht in die Versuchung einer Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommen, ist zu empfehlen, dass die Arbeitgeber durch Aushang, Intranet, Anweisung oder Regelung im Arbeitsvertrag klarstellen, dass eine solche Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht akzeptiert wird.

Über den Autor

Frau Ammermann ist als Rechtsanwältin am Attendorner Standort der Kanzlei tätig. Sie ist Fachanwältin für Arbeitsrecht.

Ihr arbeitsrechtlich geprägtes Studium absolvierte Frau Ammermann an der Julius – Maximilians – Universität in Würzburg. Im Rahmen ihres Referendariats im OLG – Bezirk Hamm, war Frau Ammermann für eine Kanzlei im Bereich des Arbeitsrechts sowie beim Arbeitgeberverband tätig.

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