16. Mai 2023
Kündigungsrecht
Autor Dr. jur. Claudia Kröger
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Diebstahl geringwertiger Sachen und andere Straftaten als (fristloser) Kündigungsgrund?

Eine Kündigung ist sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG). Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Erfüllung des Arbeitsvertrages in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist. Um zukünftige Störungen zu vermeiden, kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis (fristgemäß) beenden. Die Kündigung kommt allerdings dann nicht in Betracht, wenn bereits mildere Mittel (Abmahnung!) von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, den Arbeitnehmer zu vertragsgemäßem Verhalten zu bewegen. Im Falle eines steuerbaren Fehlverhaltens geht die Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, dass ein künftiges Fehlverhalten durch den Ausspruch einer Abmahnung vermieden werden kann.

Einer Abmahnung bedarf es ausnahmsweise dann nicht, wenn erkennbar ist, dass auch durch eine Abmahnung eine Verhaltensänderung in Zukunft nicht zu erwarten ist. Eine Abmahnung ist auch dann entbehrlich, wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen ist.

Wenn ein Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – gegebenenfalls strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers begeht, verletzt er in schwerwiegender Weise seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Fehlverhalten des Arbeitnehmers kann einen „wichtigen Grund“ im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen und somit ein Grund für eine arbeitgeberseitige fristlose Kündigung sein. Dies gilt auch dann, wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers nur Sachen von geringem Wert betrifft oder nur zu einem geringfügigen Schaden geführt hat. Entscheidend ist nach der Rechtsprechung der mit der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch. Durch einen Diebstahl/Unterschlagung/Betrug ist das Vertrauensverhältnis in aller Regel so schwerwiegend und nachhaltig gestört, dass es vor einer Kündigung keiner vorhergehenden Abmahnung bedarf, und zwar unabhängig vom Wert der Sache.

Entscheidend ist nicht allein, ob mit einem Diebstahl ein an sich „wichtiger Grund“ für eine außerordentliche fristlose Kündigung gegeben ist. Entscheidend ist darüber hinaus, dass § 626 Abs. 1 BGB die Prüfung verlangt, ob alle Interessen beider Vertragsteile abgewogen und alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt wurden. Hinzutritt, dass die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar sein muss.

So kommt es darauf an, ob zwischen dem Diebstahl/Straftat des Arbeitnehmers und seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit ein enger Zusammenhang besteht. Sofern dem Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber ein bestimmter Bestand an Waren und Geld anvertraut wurde, muss sich der Arbeitgeber auf die Ehrlichkeit des Arbeitnehmers verlassen können. Wenn eine Verkäuferin ihrem Arbeitgeber zwei Packungen Zigaretten entwendet, entsteht hierdurch ein irreparabler Vertrauensverlust, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Dies gilt auch angesichts einer unbeanstandeten Betriebszugehörigkeit von 18 Jahren und des geringen Werts der beiden entwendeten Gegenstände. Ungeachtet dieses geringen Wertes ist die Basis für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit zerstört (BAG, Urteil vom 12.06.2012, 2 AZR 153/11).

Das BAG stellte auch darauf ab, dass es für den Grad des Verschuldens und für die Frage, ob das gestörte Vertrauen wiederhergestellt werden kann, wichtig ist, ob es sich bei der Pflichtverletzung um ein auf Heimlichkeit angelegtes Verhalten handelt. Diese Heimlichkeit führt erst recht zu einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses.

Für eine endgültige Zerstörung des Vertrauens kann es auch entscheidend sein, ob ein Arbeitnehmer gezielt Sicherungsmaßnahmen des Arbeitgebers umgangen hat.

Wenn einem Arbeitnehmer ein Diebstahl oder eine andere Straftat vorgeworfen wird, sollte er dringend vor einer Kündigung zu dem Diebstahlsverdacht angehört werden. Sollte dem Arbeitnehmer nachgewiesen werden können, dass er in diesem Anhörungsgespräch den Arbeitgeber belogen hat, so vertieft diese Lüge, nach dem erfolgten Diebstahl/Vermögensdelikt, den Vertrauensbruch erheblich. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer vor der Kündigung andere Arbeitnehmer beschuldigt und sich diese Beschuldigungen als Lüge herausstellen.

Eine nachgewiesene Wiederholungsgefahr kann ebenfalls den Vertrauensbruch weiter vertiefen, z.B. wenn dem Arbeitnehmer mehrere Diebstähle geringwertiger Sachen nachgewiesen werden können.

Wenn es dem Arbeitgeber gelingt, anhand der vorstehenden Hinweise die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses nachzuweisen, wird im Regelfall auch bei einem Diebstahl geringwertiger Sachen eine fristlose Kündigung, ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung, gerechtfertigt sein. Bei einem sehr langjährigen Arbeitsverhältnis kann es im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung geboten sein, statt der außerordentlichen fristlosen lediglich eine fristgemäße Kündigung auszusprechen. Im Falle einer sehr geringwertigen Sache (Unterschlagung eines Pfandbons i.H.v. 1,30 €) hat das BAG allerdings entschieden, dass im Falle eines sehr langen (über 30 Jahre) bestehenden beanstandungsfreien Arbeitsverhältnisses sowohl eine ordentliche als auch eine außerordentliche Kündigung unwirksam sein kann, sondern vielmehr eine Abmahnung als milderes Mittel erforderlich ist.

Gerade vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist es für den Arbeitgeber besonders wichtig, alle Aspekte zusammenzutragen, aus denen sich die unwiederbringliche Zerstörung des Vertrauensverhältnisses ergibt.

Aktuell hat z.B. das Arbeitsgericht Lüneburg die außerordentliche fristlose Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden für gerechtfertigt gehalten, da dieser 6 Arbeitsstunden in seinem Arbeitszeitnachweis angegeben hatte, obwohl er an diesem Tag gar nicht (wie angemeldet) an einem Betriebsrätetag teilgenommen hatte, sondern aus privaten Gründen bereits zuvor abgereist war (Zustimmungsbeschluss zur außerordentlichen Kündigung vom 05.04.2023, 2 BV 6/22).

Über den Autor

Dr. Claudia Kröger ist bereits seit 1999 an unserem Standort in Dresden tätig.

Im Anschluss an ihr arbeitsrechtlich ausgerichtetes Studium an der Universität Osnabrück und der Friedrich-Schiller-Universität Jena promovierte sie im Fachbereich Arbeitsrecht. Das Thema ihrer Promotion war: „Verhältnis von Auswahlrichtlinien nach § 95 Abs. 1 BetrVG zur sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG“.

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