22. September 2021
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Entgelt­fortzahlung beim Zusammen­treffen von Arbeits­unfähigkeit und Quarantäne

Entgeltfortzahlung beim Zusammentreffen von Arbeitsunfähigkeit und Quarantäne

ArbG Aachen, Urteil vom 11.03.2021, Az.: 1 Ca 3196/20

Redaktionelle Leitsätze:

  1. Der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG besteht grundsätzlich nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung sei. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt darf nicht bereits auf Grund anderer Ursachen entfallen. Der Entgeltfortzahlungsanspruch setzt also voraus, dass der erkrankte Arbeitnehmer ohne die Arbeitsunfähigkeit einen Vergütungsanspruch gehabt hätte. Das bedeutet aber nicht, dass alle hypothetischen Geschehensabläufe zu berücksichtigen sind. Vielmehr muss es sich um reale Ursachen handeln, die im konkreten Fall für den Ausfall der Arbeit auch wirksam geworden sind.
  2. Eine rückwirkend für einen Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit angeordnete Quarantäne schließt einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht aus.

 

Sachverhalt

Der klagende Arbeitnehmer war vom 19. Mai bis einschließlich 01. Juni 2020 unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen arbeitsunfähig erkrankt. Für die Zeit vom 19. Mai bis einschließlich 02. Juni 2020, wurde gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 25. Mai 2020 eine häusliche Absonderung (Quarantäne) vor dem Hintergrund der bestehenden COVID-19-Pandemie behördlich angeordnet.

Die beklagte Arbeitgeberin leistete an den Kläger zunächst für Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung. Im Juli 2020 korrigierte die Beklagte diese Abrechnungen, indem sie die Entgeltfortzahlung abzog und eine Entschädigung nach dem IfSG berücksichtigte.

Der Kläger beantragte zuletzt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 2.421,30 EUR brutto nebst Zinsen zu zahlen, da nach seiner Auffassung der (höhere) Anspruch auf Entgeltfortzahlung vorrangig vor einem Entschädigungsanspruch nach dem Infektionsschutzgesetz sei.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung, insbesondere aufgrund ihrer Auffassung, die für einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung erforderliche Monokausalität läge nicht vor

 

Die Entscheidung des ArbG Aachen

Das ArbG Aachen hat dem Kläger einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Zeitraum vom 19. Mai bis einschließlich 01. Juni 2020 in der geltend gemachter Höhe gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zugestanden.

Zwar könne eine Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG grundsätzlich nur dann beansprucht werden, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist. Daraus folge aber nicht, dass alle hypothetischen Geschehensabläufe zu berücksichtigen seien. Eine rückwirkend für einen Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit angeordnete Quarantäne schließe einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht aus. Die grundsätzlich erforderliche Monokausalität stehe einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung vorliegend nicht entgegen.

Zunächst bedinge eine Quarantäne nicht zwangsläufig eine Unmöglichkeit der Arbeitsleistung nach § 275 Abs. 1 BGB, die einen Wegfall der Vergütungspflicht nach § 326 Abs. 1 BGB nach sich ziehen würde. Die Quarantäne nach § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG könne nicht nur bei Kranken, sondern auch bei Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern angeordnet werden, sodass gegebenenfalls die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung etwa im Home Office weiterhin möglich sei. Ein berufliches Tätigkeitsverbot sei gegenüber dem Kläger gerade nicht ausgesprochen worden.

Auch in den Fällen, in denen die Anordnung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen die Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung mit sich bringe, sei die Entgeltfortzahlung aufgrund der Regelung in § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG vorrangig. § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG setze schon nach seinem Wortlaut voraus, dass der Arbeitnehmer einen Verdienstausfall erleide, mithin aufgrund des angeordneten Verbotes in der Ausübung der bisherigen Erwerbstätigkeit oder aufgrund der Absonderung keine Vergütung erhalte. Im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bleibe die Vergütungspflicht jedoch bestehen. Ein Verdienstausfall sei dann nicht gegeben. Der Vorrang des Entgeltfortzahlungsanspruchs könne auch darauf gefolgert werden, dass der Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG im Fall der auch hier maßgeblichen Absonderung nur für „Ausscheider“, „Ansteckungsverdächtige“ und „Krankheitsverdächtige“ geregelt wurde, nicht hingegen für „Kranke“, denen gegenüber die Maßnahmen nach § 28 ff. IfSG ebenso angeordnet werden können.

Für einen Wegfall des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG zu Gunsten des Arbeitgebers, der in diesem Fall zu Lasten der Allgemeinheit entlastet werden würde, bestehe auch kein Grund, da der Arbeitnehmer, der Entgeltfortzahlung erhalte, keine materielle Not durch die Absonderung erleide. Nur derjenige, der zu Gunsten der Allgemeinheit und zu dem in § 1 IfSG ausdrücklich genannten Zweck, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern, von infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen betroffen ist und der hierdurch einen Verdienstausfall erleidet, soll auf Kosten der Allgemeinheit eine Entschädigung erhalten.

 

Einordnung der Entscheidung

Zwar wurde die Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung des ArbG Aachen zugelassen. Eine in den wesentlichen Punkten andere Entscheidung ist durch ein Instanzgericht allerdings nicht zu erwarten. Bereits in der Literatur wurde vor der Entscheidung des ArbG Aachen von der wohl h. M. (siehe z. B. Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137, 1139, Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413, 418) angenommen, dass § 56 IfSG zur Entgeltfortzahlung subsidiär sei.

Zutreffend geht das ArbG Aachen jedenfalls dann von einer Entgeltfortzahlungspflicht aus, wenn der Arbeitnehmer in Quarantäne gleichwohl seine Arbeitsleistung – z. B. im Home Office – erbringen kann. Eine dann vorliegende Arbeitsunfähigkeit ist in diesen Fällen monokausal für das Unterbleiben der Arbeitsleistung, da trotz häuslicher Quarantäne die Arbeitsleistung im Home Office hätte erbracht werden können.

Zudem überzeugt die Auffassung des Gerichts, dass vom Anwendungsbereich des § 56 Abs. 1 IfSG Kranke ausgenommen wurden und „Ausscheider“, „Ansteckungsverdächtige“ sowie „Krankheitsverdächtige“ lediglich aus Gründen der Billigkeit in ähnlicher Weise Leistungen erhalten, wie sie Kranke im Krankheitsfalle erhalten würden. Aufgrund der Entgeltfortzahlung bedarf es bei arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmern dagegen einer solchen Kompensation nicht.

Für die Praxis ist somit festzuhalten, dass das gleichzeitige Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit und Quarantäne den Arbeitgeber nicht von der Entgeltfortzahlung befreit.

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