Ein Unternehmen des Einzelhandels hatte von einer Zeitarbeitsfirma eine Leiharbeitnehmerin entliehen. Diese wurde mit einem Bruttostundenlohn von 9,23 € entlohnt, während die vergleichbaren Arbeitnehmer des Einzelhandelsunternehmen 13,64 € verdienten. Diese Ungleichbehandlung lies ein für Leiharbeitnehmer geltender Tarifvertrag zwischen einem Interessenverband, dem die Zeitarbeitsfirma angehörte, und der Gewerkschaft, der die Arbeitnehmerin angehörte, zu.
Die Arbeitnehmerin erhob Klage auf zusätzliches Arbeitsentgelt in Höhe der entsprechenden Differenz. Das Bundesarbeitsgericht legte die Frage, welche Voraussetzungen ein Tarifvertrag erfüllen muss, um gemäß Art. 5 Abs. 3 der Europäischen Richtlinie 2000/1042 vom Grundsatz der Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer abweichen zu können, dem EuGH zur Beantwortung vor. Das deutsche Arbeitsrecht lässt gemäß § 8 AÜG eine niedrigere Entlohnung von Leiharbeitnehmern gegenüber Arbeitnehmern des Einsatzbetriebes durch Tarifvertrag unter bestimmten Voraussetzungen zu.
Auch nach Auffassung des EuGH kann ein Tarifvertrag einen niedrigeren Lohn für Leiharbeitnehmer vorsehen; dabei muss jedoch der Grundsatz der Gleichbehandlung gemäß Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2000/1043 gewahrt bleiben, wonach Tarifverträge den „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ beachten müssen.
Wenn also Tarifvertragsparteien die Ungleichbehandlung von Leiharbeitnehmern in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen wie etwa den Lohn vorsehen, muss dieser Tarifvertrag im Gegenzug Vorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für Leiharbeitnehmer gewähren, um die Ungleichbehandlung beim Lohn auszugleichen.
Dafür müssen die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die beim entleihenden Unternehmen in Bezug auf den konkreten Arbeitsplatz, für den der Leiharbeitnehmer eingestellt wird, gelten, überprüft werden. Sodann müssen diese Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen mit denen verglichen werden, die für den Leiharbeitnehmer gelten, um prüfen zu können, ob die Ungleichbehandlung in Bezug auf einzelne Bedingungen durch Vorteile in anderen Punkten ausgeglichen werden.
Dies soll unabhängig davon gelten, ob und inwieweit der nationale Gesetzgeber Voraussetzungen und Kriterien geregelt hat, denen die Tarifverträge entsprechen müssen. Es spielt auch keine Rolle, ob der Leiharbeitnehmer einen befristeten oder unbefristeten Arbeitsvertrag mit der Zeitarbeitsfirma geschlossen hat.
Insofern unterliegen die Tarifverträge einer gerichtlichen Kontrolle, um überprüfen zu können, ob die Tarifvertragsparteien ihrer Pflicht zur Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern nachgekommen sind (Urteil vom 15.12.2022 – C – 311/21 – TeamPartner, Personalmanagement GmbH).