17. November 2022
Betriebsverfassungsrecht, Kündigungsrecht
Autor Dr. jur. Claudia Kröger
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Falsche Rechts­beratung durch den Betriebsrat

Sofern sich ein Arbeitnehmer nach Erhalt einer arbeitgeberseitig ausgesprochenen Kündigung an den Betriebsrat wendet, von diesem Rechtsrat eingeholt und aufgrund einer Falschberatung durch den Betriebsratsvorsitzenden die gesetzlich festgesetzte 3-Wochen-Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage versäumt, kann die Klage nicht mehr nachträglich zugelassen werden.

Dieser Fall beruht auf einem Urteil des LAG Hamm vom 11.01.2022 (Az. 14 Sa 938/21). Dieses Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Gegen die Entscheidung wurde Revision beim BAG eingelegt unter dem Aktenzeichen 2 AZR 87/22.

Der Arbeitnehmer war beim Arbeitgeber, einem Unternehmen mit ca. 80 Arbeitnehmern, seit 1989 als Maschinenführer beschäftigt. Gemäß des geltenden MTV konnte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aufgrund dessen Alters nur noch aus wichtigem Grund kündigen. Ein Betriebsrat bestand erstmals seit 2019.

Mit Schreiben vom 28.10.2020, dem Arbeitnehmer am 29.10.2020 zugegangen, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2021. Hiergegen hat der Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage eingelegt, die dem Gericht am 24.11.2020 zuging. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 26.11.2020 beantragte der Arbeitnehmer die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage.

Zuvor war der Arbeitnehmer am 30.10.2020 zu einem BEM-Gespräch eingeladen worden. Das für den 03.11.2020 avisierte BEM-Gespräch fiel jedoch dann wegen Erkrankung des Geschäftsführers aus. Der Arbeitnehmer hat sich am Tag des Erhalts der Kündigung mit dem Betriebsratsvorsitzenden in Verbindung gesetzt. Dieser erklärte, der Betriebsrat sei am 28.10.2020 über den Ausspruch der Kündigung informiert worden. Es habe jedoch keine vorherige Betriebsratsanhörung stattgefunden. Der Betriebsrat erklärte, er wolle der Kündigung auch widersprechen. Der Kläger müsse sich daher um nichts weiter kümmern, brauche auch keine Klage einzureichen. Später fragte der Arbeitnehmer noch mal beim Betriebsrat nach, wie es jetzt um die Kündigung stehe. Der Betriebsrat habe ihm dann erklärt, dass er sich nicht weiter kümmern müsse, der Betriebsrat würde dies klären. Mit Schreiben vom 03.11.2020 widersprach dann der Betriebsrat gegenüber dem Arbeitgeber der Kündigung. Am 24.11.2020 erkundigte sich der Betriebsrat bei dem Anwalt, der den Arbeitnehmer später im Kündigungsschutzprozess vertrat, nach dem weiteren Vorgehen. Der Anwalt erhob sofort am 24.11.2020 Kündigungsschutzklage

Das Arbeitsgericht Herford wies die Klage des Arbeitnehmers ab. Es urteilte, dass die Kündigung wegen der verspäteten Klageerhebung nach Ablauf der 3-WochenFrist von Anfang an rechtswirksam war.

Auch das LAG erachtete die Kündigung für rechtswirksam. Es wies die vom Arbeitnehmer eingelegte Berufung zurück. Offensichtlich war zunächst, dass der Arbeitnehmer die 3-Wochen-Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage versäumt hatte. Da die Kündigung am 29.10.2020 zugestellt wurde, hätte die Klage spätestens am 19.11.2020 beim Arbeitsgericht eingehen müssen.

Anschließend prüfte das LAG, ob eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 Abs. 1 KSchG in Betracht kommt. Die Regelung lautet:

„War ein Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben, so ist auf seinen Antrag die Klage nachträglich zuzulassen.“

Das LAG entschied, dass der Arbeitnehmer sowohl nach objektiven als auch nach subjektiven Maßstäben die ihm nach Lage des Falls zuzumutende Sorgfalt nicht beachtet hat. Er durfte sich nicht auf die Aussage des Betriebsratsvorsitzenden verlassen, dass er keine Klage erheben müsse. Der Betriebsratsvorsitzende war zur Erteilung solcher rechtlichen Auskünfte nicht geeignet. Dies hätte dem Arbeitnehmer klar sein müssen. Wenn ein Arbeitnehmer keine Kenntnis davon hat, dass es erforderlich ist, innerhalb von drei Wochen eine Kündigungsschutzklage zu erheben, kommt eine nachträgliche Zulassung nach Auffassung des LAG nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer sich an eine zur Erteilung von Auskünften geeignete, zuverlässige Stelle wendet und von dort eine für die Fristversäumnis ursächliche unrichtige Auskunft erhält. Der Betriebsrat ist aber keine solche zur Erteilung von Rechtsauskünften geeignete Stelle. Der Betriebsrat ist vielmehr ein Vertreter der Belegschaft in kollektiven Fragen. Für Einzelinteressen der Arbeitnehmer, insbesondere für die Durchsetzung individueller Ansprüche, z.B. eine Kündigung, ist er nicht zuständig. Es gehört nicht zu den Aufgaben der Arbeitnehmervertretung eines Betriebes, im Bereich der individuellen Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer diese in Rechtsangelegenheiten zu beraten und Rechtsauskünfte zu erteilen. Dass der Betriebsrat im Betrieb Ansprechpartner für die Arbeitnehmer ist und dieses zumindest faktisch auch in Fällen der Kündigung sein kann, bedeutet nicht, dass der Arbeitnehmer diesem Rat fachlich vertrauen darf. Für den Arbeitnehmer ist offensichtlich, dass Betriebsräte weder Rechtsanwälte noch Rechtsschutzsekretäre einer Gewerkschaft sind.

Hinzu trat im vorliegenden Fall, dass der Betriebsrat erst im Jahr 2019 gewählt wurde. Der Arbeitnehmer konnte bereits deshalb schon nicht davon ausgehen, dass der Betriebsratsvorsitzende hinreichende Erfahrungen und Kenntnisse auch in Fragen des individuellen Arbeitsrechts hat. Im Übrigen war dem Kläger aufgrund seiner Eigenschaft als Gewerkschaftsmitglied auch bekannt, oder es hätte ihm zumindest bekannt sein müssen, dass er deswegen den Anspruch hat, sich von seiner Gewerkschaft in arbeitsrechtlichen Fragen beraten zu lassen. Die Einladung zum BEM-Gespräch war nach Auffassung des LAG auch kein Zeichen dafür, dass das Arbeitsverhältnis gegebenenfalls fortgesetzt wird. Denn das BEM-Gespräch betraf die noch absehbare Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zur Beendigung am 31.05.2021. Das Angebot eines BEM-Gespräches kann nicht als Rücknahme der Kündigung ausgelegt werden.

Über den Autor

Dr. Claudia Kröger ist bereits seit 1999 an unserem Standort in Dresden tätig.

Im Anschluss an ihr arbeitsrechtlich ausgerichtetes Studium an der Universität Osnabrück und der Friedrich-Schiller-Universität Jena promovierte sie im Fachbereich Arbeitsrecht. Das Thema ihrer Promotion war: „Verhältnis von Auswahlrichtlinien nach § 95 Abs. 1 BetrVG zur sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG“.

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