Arbeitsmedizinische Untersuchungen im Arbeitsverhältnis sind in vielen Branchen aus der betrieblichen Praxis nicht hinwegzudenken. Allerdings stellen die mitunter hohen Voraussetzungen für derartige Untersuchungen Arbeitgeber oftmals vor juristische Schwierigkeiten. So wird durch betriebsärztliche Untersuchungen in das grundrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und durch die Körperlichkeit der Untersuchungen zugleich in die körperliche Unversehrtheit der Arbeitnehmer eingriffen. Die Zulässigkeit von arbeitsmedizinischen Untersuchungen bemisst sich daher sehr an einer Abwägung der schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers mit denen des Arbeitnehmers. Letztendlich müssen die Interessen des Arbeitgebers hierbei überwiegen.
Die nachfolgenden Ausführungen sollen Ihnen eine kompakte Übersicht über die diesbezüglichen juristischen Fallstricke ermöglichen.
Arbeitsmedizinische Vorsorge nach dem ArbMedVV
Gemäß § 11 ArbSchG hat es der Arbeitgeber zu ermöglichen, dass Mitarbeiter sich auf eigenen Wunsch arbeitsmedizinisch untersuchen lassen können, es sei denn aufgrund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und den getroffenen Schutzmaßnahmen wäre nicht mit einem etwaigen Gesundheitsschaden bei Ausübung der Arbeitsleistung zu rechnen.
Grundsätzlich ist also der Wunsch des Arbeitnehmers maßgebend, sodass der Arbeitgeber zugleich nur zur Anordnung oder dem Angebot von arbeitsmedizinischen Untersuchungen angehalten, wenn dies gesetzlich gesondert festgeschrieben ist. Auf Grundlage des § 18 Abs. 2 Nr. 4 ArbSchG können allerdings mittels einer Rechtsverordnung solche Pflichten ausgelöst werden. So können bspw. die Strahlenschutzverordnung oder die Röntgenverordnung die Pflichtversorge vorgeben, welche gar in einzelnen Verordnungen bis zu einer arbeitnehmerseitigen Pflicht zur Duldung einer Untersuchung ausgeweitet werden (vgl. § 176 StrSchV).
Vor allem aber regelt die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) im Rahmen der arbeitsmedizinischen Präventionsmaßnahmen ein dreistufiges System arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchen (Wunschvorsorge, Angebotsvorsorge sowie Pflichtvorsorge). Der Anhang zu ArbMedVV weist hierbei zugleich einen Katalog für besonders gefährdende oder bestimmte gefährdende Tätigkeiten, bei denen eine Vorsorge arbeitgeberseitig angeboten (Angebotsvorsorge) oder verpflichtend angeordnet werden (Pflichtvorsorge) muss (bspw. beim Umgang mit bestimmten Gefahrenstoffen).
Inhalt einer solchen Maßnahme der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist dabei immer ein ärztliches Beratungsgespräch einschließlich einer Anamnese sowie körperliche oder klinische Untersuchungen, sofern diese für die Beratung und Aufklärung des Beschäftigten erforderlich sind und der Beschäftigte in diese eingewilligt hat. Die Teilnahme und Durchführung unterliegen mithin also der Entscheidungsfreiheit des Beschäftigten. Ohne Einwilligung des betroffenen Mitarbeiters kann insbesondere keine Untersuchung durchgeführt werden. Die ArbMedVV vermag also keine Duldungspflicht des Mitarbeiters auszulösen. Allerdings – und dies ist von elementarer Wichtigkeit – löst die verweigerte Teilnahme an einer Pflichtvorsorge gem. § 4 Abs. 2 ArbMedVV ein Beschäftigungsverbot gegenüber dem Mitarbeiter aus. Der Mitarbeiter darf erst die die Pflichtvorsorge auslösende Tätigkeit ausüben, wenn er zuvor an der Pflichtvorsorge teilgenommen hat. Verweigert der Beschäftigte die Teilnahme an der Pflichtvorsorge stellt dies gar eine Pflichtverletzung des Mitarbeiters, welche zugleich arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zur Kündigung auslösen können, dar.
Die arbeitsmedizinische Vorsorge ist allerdings strikt von den nachstehend dargestellten Einstellungs- und Eignungsuntersuchungen zu differenzieren. Letztere dienen dazu, die gesundheitliche Eignung im Konkreten nachzuweisen. Bei der Teilnahme an der arbeitsmedizinischen Vorsorge soll hingegen nicht präventiv selektiert wird. Anlass sind hierbei also nicht Gründe in der Person des Arbeitnehmers, sondern die spezifische Arbeitstätigkeit, die auszuüben ist.
Die Einstellungsuntersuchung
In der Praxis werden häufig, insbesondere im klinischen oder gastronomischen Bereich, vor Aufnahme einer Neubeschäftigung bzw. zu Beschäftigungsbeginn Einstellungsuntersuchungen durchgeführt. Zweck der Einstellungsuntersuchungen ist es, festzustellen, ob ein Bewerber körperlich den Anforderungen des Arbeitsplatzes gewachsen ist, d.h. ob die Leistungsfähigkeit eines Bewerbers mit den Leistungsanforderungen einer Tätigkeit vereinbar ist.
Ein Mitarbeiter oder Stellenbewerber ist allerdings nicht verpflichtet, sich einer Einstellungsuntersuchung zu unterziehen. Eine Einstellungsuntersuchung kann mithin nur im Einvernehmen mit ihm durchgeführt werden. Es bedarf also einer ausdrücklichen oder konkludenten Einwilligung des Arbeitnehmers oder eben einer entsprechenden Klausel im Arbeitsvertrag. Letztere ist hierbei empfehlenswert und kann gar als aufschiebende Bedingung dahingehend, dass die Einstellung vorbehaltlich der gesundheitlichen Eignung erfolgt, ausgestaltet werden.
Darüber hinaus bedarf eine rechtswirksame Einstellungsuntersuchung einen Sachenzusammenhang zwischen der Untersuchung und der angestrebten Tätigkeit, andernfalls muss ein berechtigtes, billigendes und schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers, welches dem Interesse des Arbeitnehmers oder Stellenbewerbers auf Unverletzlichkeit seiner Privat- und Intimsphäre überwiegt, negiert werden. Ein solcher Sachzusammenhang besteht, wenn die Untersuchung ergeben soll, ob die Eignung eines Bewerbers für die angestrebte Tätigkeit auf Dauer oder in wiederkehrenden Perioden erheblich beeinträchtigt oder aufgehoben ist. Hinsichtlich des Sachzusammenhangs zur Tätigkeit sowie des berechtigten arbeitgeberseitigen Interesses können Sie sich an der Rechtsprechung zum Fragerecht zu einer Krankheit oder körperlichen Behinderung in Einstellungsgesprächen sowie im laufenden Arbeitsverhältnis orientieren.
Achtung: Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat zunächst die nachfolgenden Fragen als zulässig erachtet:
- Liegt eine Krankheit vor, durch die die Eignung für die vorgesehene Tätigkeit auf Dauer oder in periodisch wiederkehrenden Abschnitten eingeschränkt ist?
- Liegen ansteckende Krankheiten vor, die zukünftige Kollegen oder Kunden gefährden?
- Ist zum Dienstantritt oder in absehbarer Zeit mit einem Ausfall zu rechnen (akute Erkrankung, Kur, Reha)?
Allerdings hat das BAG (Urteil vom 17. 12. 2009 – 8 AZR 670/08) die Frage nach einer chronischen Erkrankung mittlerweile als Indiz für eine Benachteiligung aufgrund einer vom Arbeitgeber vermuteten Behinderung des Stellenbewerbers i. S. d. § 22 AGG erachtet, sodass bei solchen Fragen höchste Vorsicht geboten ist, damit keine Entschädigungsansprüche nach dem AGG ausgelöst werden. Nach chronischen Erkrankungen und Behinderungen sollte sich mithin nur erkundigt werden, wenn das Nichtvorhandensein einer solchen Erkrankung oder Behinderung eine wesentliche und entscheidende Anforderung für die angedachte Tätigkeit i. S. d. § 8 AGG darstellt. Dies gilt zugleich für die Forderung einer dahingehenden Einstellungsuntersuchung. Zu bejahen wäre ein solches Fragerecht bzw. eine solche Forderung, wenn das Nichtvorhandensein etwaiger gesundheitlicher Beeinträchtigungen oder Defizite eine unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit darstellt.
Als zulässig erachtet, werden nachstehende Untersuchungen:
- Untersuchung auf Farbenblindheit, wenn der Aufgabenbereich die Fähigkeit zur Farbunterscheidung verlangt
- Untersuchungen auf Gleichgewichtsstörungen/Höhenkrankheit (Dachdecker, Glasreiniger)
- Untersuchungen auf Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenabhängigkeit bei sicherheitsrelevanten Arbeitsbereichen (Umgang mit Waffen, explosiven Chemikalien, Fahrpersonal, Piloten) oder bei einem Einsatz im Sozialbereich (Suchtprävention).
- Untersuchung durch einen Chirurgen auf eine ansteckende HIV-Erkrankung
- Belastungs- oder Reaktionstests bei Piloten oder Feuerwehrleuten
- Untersuchungen auf Mehlallergie im Bäckerbereich
- Untersuchungen auf Rückenerkrankungen bei schwerer körperlicher Arbeit
Auch bei Einstellungsuntersuchungen gilt im Übrigen die Schweigepflicht des Arztes, sodass dieser dem Arbeitgeber nur Auskunft über die allgemeine Eignung eines Bewerbers geben darf, nicht aber über einzelne Untersuchungsergebnisse.
Die Eignungsuntersuchung
Von der Einstellungsuntersuchung vor Einstellung im Betrieb abzugrenzen ist die sogenannte Eignungsuntersuchung. Die Eignungsuntersuchung hat ebenfalls den Zweck die gesundheitliche Eignung eines Beschäftigten für eine bestimmte berufliche Tätigkeit nachzuweisen, findet allerdings erst während eines laufenden Beschäftigungsverhältnisses statt.
Eine Eignungsuntersuchung ist zulässig, wenn sie durch spezielle Rechtsvorschriften vorgeschrieben ist oder der Arbeitgeber begründete Zweifel an der Eignung eines Mitarbeiters, den Anforderungen des Arbeitsplatzes aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer gerecht zu werden, hat und zugleich auch hier ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers hinzutritt. Rechtsdogmatisch kann – wenn nicht gar speziellere Ermächtigungsgrundlagen (bspw. auch tarifvertragliche Regelungen) vorliegen – die Anordnung einer Eignungsuntersuchung auf die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht aus § 618 BGB, die gegenüber dem Arbeitnehmer auch gegenüber den übrigen Mitarbeitern gilt, sowie auf die allgemeine Treue- und Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers aus §§241 Abs. 2, 242 BGB gestützt werden. Das berechtigte Interesse kann hierbei vor allem regelmäßig bejaht werden, wenn bei vernünftiger Einschätzung, ernsthafte Besorgnis an der Eignung des Beschäftigten besteht und die mangelnde Eignung zugleich eine Gefährdung des Mitarbeiters oder Dritter auslösen würde. Dies kann angenommen werden, wenn bei mangelnder Eignung gesetzliche Tätigkeits- oder Beschäftigungsverbote ausgelöst werden. Tatsächliche Anhaltspunkte, die hinreichend auf einen Eignungsmangel hinweisen können je nach Tätigkeit und Gefährdungsbeurteilung wiederholte einfache oder einzelne gravierende Fahrfehler, Anzeichen einer Sehschwäche, (Beinahe-) Unfälle oder eindeutige Hinweise auf ein Anfallsleiden oder eine Suchtkrankheit sein. Als Beispiele können hierbei ein Epilepsieanfall eines Staplerfahrers, ein Schwindelanfall eines Gerüstbauers, eine Atemnot eines Feuerwehrmannes bei Einsatzübung mit Atemschutzgerät oder ein Zuckerschock eines LKW-Fahrers herangezogen werden.
Auch die Eignungsuntersuchung löst (falls keine speziellere gesetzliche Regelung greift) auch nicht die Pflicht einer Duldung aus. Kommt der Arbeitnehmer allerdings der Aufforderung der Eignungsuntersuchung nicht nach, muss dieser nach Hause geschickt werden. Zugleich kann die Verweigerung arbeitsrechtliche Konsequenzen auslösen (BAG, Urteil vom 27.09.2012, 2 AZR 811/11).
Fazit
Abschließend lässt sich somit festhalten, dass zunächst immer stets zwischen den verschiedenen betriebsärztlichen Untersuchungen zu differenzieren ist. Zugleich sollte geprüft werden, ob als Rechtsgrundlage speziellere Gesetze oder besondere kollektivrechtliche Regelungen herangezogen werden können. Falls solche nicht vorliegen sollten, sollten Sie immer darauf achten, dass neben dem Sachzusammenhang zu der Tätigkeit entsprechend den obigen Ausführungen, ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers angenommen werden kann.