17. November 2022
Kündigungsrecht, Tarifrecht und Gewerkschaften
Autor Dominic Wallenstein
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Keine höhere Abfindung für Gewerkschafts­mitglieder ohne schriftliche Vereinbarung

Das LAG Düsseldorf hatte darüber zu entscheiden, ob Gewerkschaftsmitglieder aufgrund einer mündlichen Zusage des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat eine höhere Sozialplanabfindung verlangen können. Zudem befasste es sich mit der Frage, ob das Schweigen des Arbeitgebers bezüglich einer entsprechenden Verlautbarung der Gewerkschaft auf einer Betriebsversammlung zu einer Gesamtzusage führt.

(Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 29. Juni 2022, Az: 1 Sa 991/21)

Der Fall

Der Klägerin war seit dem 03.04.2000 bei der beklagten Servicegesellschaft aus dem Bereich der Luftfahrt beschäftigt und wurde im Rahmen eines Personalabbaus betriebsbedingt zum 30.06.2020 gekündigt.

Die Beklagte musste bereits im Jahr 2017 einen Personalabbau durchführen und schloss mit dem Betriebsrat unter dem 06.12.2017 einen Sozialplan ab. Nach diesem berechnet sich die Abfindung eines aufgrund der Maßnahme gekündigten Mitarbeiters nach folgender Regelung:

“Betriebszugehörigkeit x Monatsbrutto x 0,9“.

Darüber hinaus wurde mit dem Betriebsrat mündlich vereinbart, dass für Mitglieder der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) einen auf 1,0 erhöhter Abfindungsfaktor berücksichtigt wird, wenn sie auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichten.

Im Jahr 2020 vereinbarte die Beklagte mit ihrem Betriebsrat, dass der bereits bestehende Sozialplan vom 06.12.2017 auch für den anstehenden Personalabbau Anwendung findet. Darüber hinaus wurde eine Betriebsvereinbarung zur Kündigungsabwicklung abgeschlossen, nach der Mitarbeiter, welche auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichten, eine zusätzliche Abfindung in Höhe von 5.000 Euro erhalten.

Mehrere Mitarbeiter und der Betriebsrat behaupteten, dass der Geschäftsführer der Beklagten gegenüber dem Betriebsrat unter dem 18.09.2019 mündlich die Zusage erteilt habe, dass auch für den Personalabbau 2020 an alle Gewerkschaftsmitglieder der NGG ein erhöhter Abfindungsfaktor von 1,0 gelte, wenn die entsprechenden Mitarbeiter auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichten.

Nach Auszahlung der Abfindung auf der Basis eines Abfindungsfaktors von 0,9 verlangte die Klägerin, Mitglied der NGG, von der Beklagten unter Berufung auf eine mündliche Zusage gegenüber dem Betriebsrat eine Abfindung auf Basis eines Abfindungsfaktors von 1,0. Sie behauptet zudem, am 23.09.2019 habe die Geschäftsführerin der NGG die Belegschaft auf einer Betriebsversammlung über eine entsprechende Vereinbarung informiert. Der anwesende Geschäftsführer der Beklagten habe diese Behauptung nicht widersprochen, sondern habe zu diesem Punkt geschwiegen. Die Beklagte bestreitet mit Nachdruck eine höhere Sozialplanabfindung für Gewerkschaftsmitglieder zugesagt zu haben.

Keine Vereinbarung und keine Gesamtzusage

Ebenso wie die erste Instanz hat auch das LAG Düsseldorf die Klage abgewiesen. Es sah für eine um den Faktor 0,1 erhöhte Sozialplanabfindung keine Anspruchsgrundlage für Mitglieder der NGG. Etwaige Erklärungen der Arbeitgeberin in der Betriebsratssitzung vom 18.09.2019 hätten sich allenfalls an den Betriebsrat gerichtet. In Ermangelung einer der Schriftform (§ 77 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 BetrVG) einhaltenden Betriebsvereinbarungen könne die von der Klägerin behauptete Zusage keine Rechtsansprüche für Mitarbeiter begründen. Darüber hinaus könne in er Äußerung der Geschäftsführerin der NGG auf der Betriebsversammlung keine begünstigende Gesamtzusage zu Gunsten der Gewerkschaftsmitglieder gesehen werden. Eine Gesamtzusage könne nur dann vorliegen, wenn der Arbeitgeber gegenüber seinen Mitarbeitern oder einen bestimmten Teil von ihnen ausdrückliche erkläre, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen. Eine solche Erklärung sei vorliegend unstreitig nicht aktiv getätigt worden. Auch könne aus dem Schweigen der Geschäftsführer der Beklagten keine Willenserklärung gedeutet werden. Auch sei die Geschäftsführerin der NGG nicht als Vertreterin der Beklagten aufgetreten, sodass sie keine rechtsverbindliche Erklärungen für sie abgeben konnte.

Das Landesarbeitsgericht hat heute in sieben weiteren verbundenen Sachen die Klagen abgewiesen. Die Revision ist nicht zugelassen.

Einordnung der Entscheidung

Mit der Entscheidung vom 29.06.2022 hat das LAG Düsseldorf nun endlich klargestellt, dass das Schweigen des Arbeitgebers auf einer Betriebsversammlung zu angeblich bestehenden Ansprüchen der Mitarbeiter seitens des Betriebsrats oder der Gewerkschaft nicht als stillschweigende Zustimmung zu einer Gesamtzusage gewertet werden kann. In der Vergangenheit haben Betriebsräte und Gewerkschaften immer wieder versucht, über diesen Weg angebliche Ansprüche der Mitarbeiter zu kreieren und diese anschließend geltend zu machen. Dieser rechtsmissbräuchlichen Praxis wurde nun durch das LAG Düsseldorf ein Riegel vorgeschoben

Ebenso bestätigt das LAG Düsseldorf die Rechtsnatur von mündlichen Zusagen gegenüber dem Betriebsrat als Regelungsabrede, welche keine rechtliche Wirkung in Bezug auf einzelne Mitarbeiter entfaltet. Auch dieses gibt den Arbeitgebern Rechtssicherheit in Fällen, in denen Betriebsräte Ansprüche von Mitarbeitern auf angebliche mündliche Zusagen des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat proklamieren.

Über den Autor

Herr Wallenstein ist als Rechtsanwalt am Karlsruher Standort der Sozietät Dr. Schreiner + Partner tätig.

Er absolvierte sein Studium der Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg und der Universität Bielefeld.

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