Im Betrieb der X-GmbH besteht ein Betriebsrat. Die X-GmbH hat mit ihrem Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung Arbeitszeit“ geschlossen. Diese Betriebsvereinbarung enthält unter Z. 4 eine Definition von Überstunden sowie eine Regelung unter welchen Voraussetzungen und wie Überstunden angeordnet werden dürfen.
Die tägliche Arbeitszeit der in den Schichtmodellen tätigen Arbeitnehmer beträgt 8 Stunden. Im Zeitraum von März bis Mai 2017 wies das elektronische Zeiterfassungssystem für zwei in der Frühschicht eingesetzte Mitarbeiter wiederholt Zeiten von arbeitstäglich mehr als 8 Stunden aus. Der Betriebsrat beanstandete dies als Überstundenleistung und forderte die Arbeitgeberin unter Fristsetzung auf, den Sachverhalt zu klären und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Seitens der Arbeitgeberin wurde dem Betriebsrat sodann mitgeteilt, dass die betreffenden Arbeitnehmer bei der Erfassung ihrer Arbeitszeiten technisch versehentlich in einem für sie nicht geltenden Arbeitszeitmodell zugeordnet worden seien. Der Fehler sei inzwischen behoben und die Arbeitnehmer auf die Einhaltung der geltenden Arbeitszeiten hingewiesen. Am 17. Oktober und 12. Dezember fanden Betriebsversammlungen statt. An beiden Tagen arbeitete ein Arbeitnehmer jeweils länger als 8 Stunden.
In der Folge machte der Betriebsrat einen auf die Verletzung seines Mitbestimmungsrechts gemäß
§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gestützten Unterlassungsanspruch geltend. Das Arbeitsgericht hat die, zunächst noch auf die Durchführung der Betriebsvereinbarung gestützten Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dem Unterlassungsanspruch stattgegeben. Hiergegen wandte sich die Arbeitgeberin mit der Rechtsbeschwerde.
Das BAG (BAG, Beschluss vom 28. Juli 2020,1 ABR 18/19) hielt den zulässigen Antrag für unbegründet. Im Einzelnen:
I. Allgemeines
Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) enthält mit dem in § 23 Abs. 3 BetrVG geregelten Unterlassungsanspruch eine Spezialvorschrift, die ein gesetzmäßiges Verhalten des Arbeitgebers erzwingen soll. Gemäß § 23 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft bei groben Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus dem BetrVG beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine Handlung zu unterlassen, die Vornahme einer Handlung zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Zweck der Vorschrift ist es ein gesetzmäßiges Verhalten des Arbeitgebers im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung sicherzustellen. Der Anspruch korreliert nicht mit einem entsprechenden Anspruch des Arbeitgebers. Diesem steht gegenüber dem Betriebsrat generell kein Unterlassungsanspruch zu.
II. Anspruchsvoraussetzungen
1. Gesetzliche Pflichten
Der Anspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG setzt einen groben Verstoß gegen Verpflichtungen des Arbeitgebers aus „diesem Gesetz“ voraus. Die Pflichten des Arbeitgebers nach § 23 Abs. 3 sollen dabei, entgegen dem Wortlaut, nicht auf das BetrVG beschränkt sein. Gemeint sind vielmehr alle Pflichten, die sich auf die durch das BetrVG begründete Rechtsstellung des Arbeitgebers beziehen. Sie können daher auch in anderen Gesetzen normiert sein. Verpflichtungen aus Betriebsvereinbarungen sind unabhängig davon, ob sie bereits bestehende gesetzliche Pflichten konkretisieren, Verpflichtungen im Sinne des § 23 Abs. 3 S. 1, weil sie ihre Rechtsgrundlage im BetrVG haben und daher dazu dienen, die hierdurch begründete Rechtsstellung des Arbeitgebers auszugestalten.
Die Anordnung, aber auch ebenso die Duldung von Arbeitnehmern geleisteter Überstunden, ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtig, wenn ein kollektiver Tatbestand vorliegt. Dies ist vorliegend der Fall.
2. Grober Pflichtverstoß
Für einen Anspruch gemäß § 23 Abs. 3 bedarf es allerdings eines groben Verstoßes des Arbeitgebers gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Verpflichtungen. Der Verstoß muss objektiv erheblich sein, also besonders schwerwiegend den Gesetzeszweck verletzen. Die Anforderungen des Abs. 3 sind regelmäßig erfüllt, wenn der Arbeitgeber mehrfach und offenkundig gegen eine betriebsverfassungsrechtliche Pflicht verstoßen hat. Hierbei kann allerdings im Ausnahmefall auch bereits ein einmaliger gravierender Verstoß eine grobe Pflichtverletzung darstellen. Auch leichtere Verstöße können bei Fortsetzung oder Wiederholung die Erheblichkeitsschwelle überschreiten.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG kommt es für einen groben Pflichtverstoß nicht auf ein Verschulden an (BAG, 18.3.2014; 1 ARB 77/12). Dem hat sich auch die herrschende Lehre angeschlossen. Es kommt letztlich nur darauf an, ob der Verstoß objektiv so erheblich war, dass unter Berücksichtigung des Gebots zur vertrauensvollen Zusammenarbeit die Anrufung des Arbeitsgerichts durch den Betriebsrat gerechtfertigt erscheint.
An einer groben Pflichtverletzung bestehen vorliegend bereits Zweifel. Wie den obigen Ausführungen zu entnehmen ist, wurde seitens der Arbeitgeberin auf die Beanstandung des Betriebsrats die Arbeitszeiterfassung korrigiert und die beide Arbeitnehmer auf das für sie geltende Schichtsystem hingewiesen. Es fehlt somit wohl an einer mehrfachen und offenkundigen Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten der Arbeitgeberin. Darüber hinaus liegt auch eine erforderliche „Duldung“ von Überstunden durch die Arbeitgeberin nicht vor. Ein Dulden ist durch Unterlassen von gebotenem Gegenhandeln gekennzeichnet. Hiervon kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis der Überstundenleistungen durch Arbeitnehmer untätig bleibt und diese über einen längeren Zeitraum hinnimmt.
Auf eine Duldung kann nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände geschlossen werden. Einzelne oder besonderen einmaligen Umständen geschuldete Überschreitungen der betriebsüblichen Arbeitszeit sprechen für sich gesehen nicht dafür, dass der Arbeitgeber diese hinnimmt. Die positive Kenntnis des Arbeitgebers von Überstundenleistungen ohne Ergreifen von Gegenmaßnahmen deutet regelmäßig auf deren Duldung hin. Darauf, ob die Arbeitszeit vergütet oder vom Arbeitgeber gebilligt wird, kommt es nicht an. Gemessen hieran liegt eine „Duldung“ nicht vor. Wie oben bereits dargelegt, hat es sich hinsichtlich der beiden Arbeitnehmer um einen technischen Fehler bei der Erfassung der Zeitarbeit gehandelt, welcher behoben wurde. Darüber hinaus sind die beiden Arbeitgeber auf die Einhaltung der Arbeitszeit hingewiesen worden. Ein Hinnehmen der Überstunden durch die Arbeitgeberin lag somit nicht vor. Dies gilt auch für den einzigen weiteren Ausnahmefall. Hier fehlt es an einer erforderlichen gewissen Permanenz um auf das Unterlassen gebotener Gegenmaßnahmen durch die Arbeitgeberin schließen zu können.
3. Wiederholungsgefahr
Das Rechtsschutzinteresse für den Sanktionsantrag muss im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gegeben sein. Dies bedeutet, dass insbesondere für den Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber bei Verletzung von Mitbestimmungsrechten nach § 87 I BetrVG entweder der betriebsverfassungsrechtliche Zustand noch andauert oder eine Wiederholungsgefahr bestehen muss. An die Darlegung der Wiederholungsgefahr wird regelmäßig keine hohen Anforderungen geknüpft sein, denn diese ist durch eine grobe Pflichtverletzung regelmäßig indiziert. In den Fällen der Unterlassung einer Duldung umfasst die Unterlassungsverpflichtung allerdings die Pflicht zur Vornahme von Handlungen zur Beseitigung des Duldungszustands, weil dem Unterlassungsgebot allein dadurch entsprochen werden kann. Hat der Unterlassungsverpflichtete Maßnahmen zur Beseitigung des Störungszustands ergriffen, ist eine Gefahr künftiger Beeinträchtigungen durch das Hinnehmen eines gleichartigen Störungszustands nicht ohne weiteres zu befürchten. Mangels weiteren Vortrages scheiterte der Anspruch vorliegend auch an der erforderlichen Wiederholungsgefahr.
III. Fazit
Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass sich auch bei bloßer Duldung der Erbringung von Überstunden durch Arbeitnehmer ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats ergeben kann. Ob jedoch die erforderlichen Voraussetzungen vorliegen, muss jeweils im Einzelfall geprüft werden. Der Arbeitgeber ist also gut beraten, bei entsprechender Kenntnis frühzeitig gegenzusteuern, sofern er nicht das Risiko eingehen möchte, durch einen Unterlassungsanspruch seines Betriebsrats „eingebremst“ zu werden.