Ohne Arbeit kein Lohn!?
Amtlicher Leitsatz – ArbG Mannheim, Urteil vom 25.03.2021, Az.: 8 Ca 409/20
Durch die, aufgrund des Infektionsschutzgesetzes mittels „Corona-Verordnung“, angeordnete Schließung eines Tanzclubs (hier mit einer Tanzfläche von nur 20 qm und einem Gastraum von nur 48 qm) realisiert sich gerade das aufgrund dieses Geschäftsmodells bestehende besondere Infektionsrisiko – und damit das Betriebsrisiko i. S. d. § 615 S. 3 BGB –, denn Sinn und Zweck der Schließungsanordnung besteht in der Verhinderung sozialer Kontakte in Betrieben mit möglichst engem Kundenkontakt.
I. Sachverhalt
Die Beklagte betrieb ein Tanzlokal mit einer Tanzfläche von 20 qm und einem Gastraum von 48 qm. Das Tanzlokal öffnete bis zur pandemiebedingten Betriebsschließung Mitte März 2020 in der Regel nur freitags und samstags zwischen 21:00 Uhr und 3:00 Uhr. Regelmäßig beschäftigt waren 9 Teilzeitkräfte auf Mini-Job-Basis und eine Vollzeitkraft. Der Kläger war im Rahmen einer geringfügigen Nebenbeschäftigung bei der Beklagten beschäftigt.
Mit seiner am 12.10.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage sowie den Klageerweiterungen vom 18.12.2020, 28.12.2020 sowie 18.03.2021 greift der Kläger die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses vom 22.09.2020 zum 31.10.2020 an und begehrt u. a. Annahmeverzugslohn. Insbesondere für den Zeitraum vom 14.03.2020 bis zum 31.10.2020 stehe ihm Annahmeverzugslohn zu, da die Beklagte aufgrund der Betriebsschließung mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug gewesen sei und das Betriebsrisiko zu tragen habe.
Die Beklagte ist dagegen der Auffassung, für den Zeitraum ab dem 14.03.2020 schulde sie keinen Annahmeverzugslohn, da es sich bei der Corona-Pandemie insbesondere nicht um ein gelegentlich vorkommendes Ereignis, sondern um eine Jahrhundertkatastrophe von einzigartigem Ausmaß und damit sich um höhere Gewalt handele. Berücksichtige man, dass das Hauptansteckungsrisiko im privaten Umfeld liege, könne man schwerlich behaupten, dass sich bei dem Betrieb eines Tanzlokals ein besonderes Ansteckungsrisiko realisiere.
II. Die Entscheidung des ArbG Mannheim
Das Arbeitsgericht erkannte dem Kläger einen Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn gemäß § 615 S. 3 i. V. m. S. 1 BGB zu.
Im vorliegenden Fall eines Tanzclubs verwirkliche sich durch die aufgrund des Infektionsschutzgesetzes angeordnete Schließung das Betriebsrisiko im Sinne von § 615 S. 3 BGB, sodass das Entgelt der Arbeitnehmer fortzuzahlen sei. Die Zuweisung des Wirtschafts- und Betriebsrisikos an den Arbeitgeber sei allgemeines Prinzip der Arbeitsrechtsordnung. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts komme es bei Verboten aus betriebsfremden Gründen auf die Eigenart des Betriebs an, ob der Betrieb also eine besondere Risikosphäre darstelle (vgl. BAG, Urteil vom 30.05.1963, Az.: 5 AZR 282/62). Zudem sei ein Argument für die Annahme eines solchen Betriebsrisikos die Vorhersehbarkeit und Kalkulierbarkeit des Risikos. Diese Kriterien seien vorliegend erfüllt. Bei einem Tanzclub mit einer Tanzfläche von nur 20 qm und einem Gastraum von nur 48 qm sowie Betriebszeiten zwischen 21:00 Uhr und 03:00 Uhr realisiere sich gerade das aufgrund dieses Geschäftsmodells bestehende besondere Infektionsrisiko, denn Sinn und Zweck der Schließungsanordnungen sei die Verhinderung sozialer Kontakte in Betrieben mit engem Kundenkontakt. Die Corona-Pandemie sei auch kein völlig unvorhergesehenes Ereignis. Der Arbeitgeber müsse grundsätzlich auch für Naturkatastrophen das Lohnrisiko tragen, denn auch insoweit realisiere sich typischerweise das Betriebsrisiko. Die Schließung sei jedoch ohnehin nicht durch die Pandemie erfolgt, sondern aufgrund eines politischen Ermessensakts mit dem Zweck, die Infizierung der Bevölkerung zu verlangsamen, um sie besser behandelbar zu machen. Aufgrund der Betriebsschließung sei ein Angebot der Arbeitsleistung durch den Kläger außerdem gemäß § 296 BGB entbehrlich gewesen.
III. Einordnung der Entscheidung
Auch das LAG Düsseldorf hat in einem ähnlichen Fall, in dem der den Betrieb von Spielhallen aufgrund der Coronaschutzverordnung NRW untersagt wurde, durch Urteil vom 30.03.2021, Az.: 8 Sa 674/20, entschieden, dass das Betriebsrisiko auch Fälle höherer Gewalt und insbesondere eine durch Pandemie begründete Betriebsschließung erfasse. Das allgemeine Lebensrisiko der Klägerin sei dagegen allenfalls erfasst, wenn sie ihre Arbeitskraft überhaupt nicht mehr hätte verwerten können.
Kommt der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so kann der Arbeitnehmer für die infolge des Verzugs nicht geleistete Arbeit gemäß § 613 S. 1 BGB die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Gleiches gilt gemäß § 613 S. 3 BGB in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt (Betriebsrisiko). Betriebsrisiko ist das Risiko des Arbeitgebers, seinen Betrieb betreiben zu können (BAG, Urteil vom 23.09.2015, Az.: 5 AZR 146/14). Der Arbeitgeber kann in diesen Fällen Betriebsmittel aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zur Verfügung stellen, sodass die Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage sind, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Typische Fälle des Betriebsrisikos sind etwa Brandschäden, Naturkatastrophen, Stromausfall etc.. Davon zu unterscheiden ist das Wegerisiko, dass zu Lasten des Arbeitnehmers geht. Danach sind solche Leistungshindernisse durch den Arbeitnehmer zu tragen, die ihn daran hindern, an seinen Arbeitsplatz als Erfüllungsort zu gelangen (z. B. nicht rechtzeitiger Arbeitsantritt nach Urlaub aufgrund Quarantäne im Urlaubsland oder Ausfall von öffentlichen Verkehrsmitteln).