Bisher führte die Verletzung der Anzeigepflicht des Arbeitgebers gemäß § 17 KSchG zur Unwirksamkeit aller daraufhin ausgesprochenen Kündigungen (Verstoß gegen ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB). Nach § 17 KSchG ist der Arbeitgeber zur Anzeige von Entlassungen gegenüber der Agentur für Arbeit verpflichtet, wenn die Anzahl der Entlassungen die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG überschreitet.
Mittlerweile ist der 6. Senat des BAG anderer Meinung, weil die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG nur dazu diene, es der Arbeitsverwaltung zu ermöglichen, sich auf die durch eine größere Anzahl von Entlassungen hervorgerufene Belastung des örtlichen Arbeitsmarkts einzustellen. Diese verfolge damit ausschließlich arbeitsmarktpolitische Zwecke. In die unternehmerische Entscheidungs- und rechtsgeschäftliche Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers solle gerade nicht eingegriffen werden.
Dies hatte der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts bisher immer anders gesehen, so dass sich der 6. Senat im Wege eines sogenannten Vorlagebeschlusses veranlasst, sah, den 2. Senat zu fragen, ob dieser an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhalte (BAG, Vorlagebeschluss vom 14.12.2023 – 6 AZR 157/22).
Der 2. Senat des BAG hat daraufhin mit Beschluss vom 01.02.2024 (2 AS 22/23 (A)) das Anfrageverfahren ausgesetzt und den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens mit Fragen zur Auslegung der den §§ 17 ff. KSchG zugrundeliegenden Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG) angerufen.
Aus der Begründung der Vorlagefragen geht hervor, dass der 2. Senat offensichtlich in Bezug auf die Wirksamkeit von Kündigungen dahingehend differenzieren möchte, ob die Massenentlassungsanzeige überhaupt nicht erfolgt ist oder nur fehlerhaft. Jedenfalls im letzteren Fall tendiert der 2. Senat dazu, sich der Rechtsauffassung des 6. Senats anzuschließen und in der fehlerhaften Massenentlassungsanzeige keinen Grund für die Unwirksamkeit der daraufhin ausgesprochenen Kündigungen zu sehen.
Die Entscheidung des EuGH und die darauffolgende Reaktion des 2. Senats des BAG bleibt abzuwarten. Bis dahin ist Arbeitgebern dringend zu raten, weiterhin davon auszugehen, dass eine fehlerfreie Massenentlassungsanzeige eine Voraussetzung für den Ausspruch wirksamer Kündigungen darstellt.