10. Oktober 2024
Individualarbeitsrecht, Kündigungsrecht
Autor Chiara Herrmann
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Sperrzeit beim Arbeitslosengeld: Das muss beachtet werden

Zur Ausgangslage

In der arbeitsrechtlichen Praxis werden die Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag häufig u.a. durch die Besorgnis des Mitarbeitenden dahingehend beeinflusst, ob die Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages Konsequenzen hinsichtlich seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld I (ALG I) haben könnte.

Durch einen Aufhebungsvertrag wird das Arbeitsverhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich beendet. Für den Arbeitgeber ist dies insofern von Vorteil, als er keine Kündigungsschutzklage befürchten muss. Im Gegenzug bekommt der Arbeitnehmer durch den Aufhebungsvertrag oft eine Abfindung gezahlt, auf die er bei einer Kündigung grundsätzlich keinen Anspruch hat.

Die Besorgnis, dass die Unterzeichnung der Aufhebungsvereinbarung Einfluss auf den Anspruch auf ALG I hat, ist berechtigt, da die Agentur für Arbeit unter bestimmten Voraussetzungen dazu angehalten ist, eine Sperrzeit beim Bezug des ALG I zu verhängen. Eine Sperrzeit droht insofern immer, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat.

  • 159 Abs.1, S.1 SGB III regelt insofern: „Hat der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit“.

 

Nach Ansicht des Bundessozialgerichts wird mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags aktiv Einfluss auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses genommen, sodass jeder Aufhebungsvertrag damit für den Arbeitnehmer das akute Risiko birgt, dass eine Sperrzeit beim Bezug von ALG I verhängt wird.

 

Was ist die Sperrzeit?

Die Sperrzeit ist ein Rechtsinstitut der Arbeitslosenversicherung, durch das sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehrt, bei denen der Arbeitnehmer den Eintritt des Versicherungsfalls selbst zu vertreten hat.

Zum Hintergrund: Bei einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis wird für die Arbeitslosenversicherung ein Teil des monatlichen Bruttogehalts abgezogen. Wurde ein solcher Betrag in mindestens 12 der letzten 30 Monate geleistet, besteht für den Fall der Arbeitslosigkeit ein Anspruch auf ALG I. Die Agentur für Arbeit kann allerdings einen Zeitraum bestimmen, in welchem kein ALG I bezahlt wird. Diese Zeiträume (von meist 12 Wochen) nennt man Sperrzeiten. Die Sperrzeit beginnt gem. §159 Abs.2, S.1 SGB III grundsätzlich mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet hat. Die Dauer variiert jedoch je nach Schwere des versicherungswidrigen Verhaltens.

Beispiel: Der A verliert seinen Job zum 01.01.2024 und hat ein Jahr lang, also bis zum 31.12.2024, Anspruch auf ALG I.

  • Ohne Sperrzeit: A bekommt bis zum 31.12.2024 ALG I.
  • Bei einer Sperrzeit von 12 Wochen: A bekommt erst nach 12 Wochen ALG I und trotzdem nur bis zum 31.12.2024. Da die gesperrte Zeit auf die gesamte Bezugsdauer angerechnet wird, erhält A also insgesamt weniger Arbeitslosengeld.

 

Die Sperrzeit mit ihren Folgen tritt kraft Gesetzes ein und wird durch einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit umgesetzt.

Gibt der Arbeitnehmer allerdings Anlass zum Eintritt von Sperrzeiten mit einer Gesamtdauer von insgesamt 21 Wochen oder mehr, erlischt der gesamte Leistungsanspruch. Der Grund für die einzelnen Sperrzeiten ist dabei unerheblich.

 

Wann liegt ein „wichtiger Grund“ für versicherungswidriges Verhalten vor?

Hat der Arbeitnehmer einen wichtigen Grund für die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, führt der Aufhebungsvertrag nicht zu einer Sperrzeit.

Der Gesetzgeber hat dabei nicht definiert, was ein „wichtiger Grund“ ist. Den Gerichten ist insofern vorbehalten, den unbestimmten Rechtsbegriff auszufüllen. Nach der st. Rspr. liegt ein wichtiger Grund vor, „wenn dem Arbeitslosen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden konnte. Allerdings ist diese allgemeine Umschreibung dahin zu konkretisieren, dass es sich um Umstände handeln muss, die sich auf die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses beziehen, die nach der historischen Entwicklung der Sperrzeitregelungen grundsätzlich entweder der beruflichen oder der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers entspringen müssen“ (vgl. BSG, Urt. v. 14.09.10, Az.: B 7 AL 33/09 R).

 

Voraussetzungen des Ausbleibens einer Sperrzeit aufgrund der Geschäftsanweisungen der Agentur für Arbeit (seit dem 25.01.2017)

Die Bundesagentur für Arbeit hat zu diversen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften ausführliche Dienstanweisungen erlassen, um den Agenturen bzw. den dort zuständigen Sachbearbeitern die Prüfung des „wichtigen Grundes“ zu vereinfachen und die Gleichmäßigkeit der Verwaltungspraxis sicherzustellen. Aus der internen Geschäftsanweisung zu §159 SGB III lässt sich insoweit genauer ersehen, welche Kriterien die Arbeitsagenturen in der Praxis bei der Frage berücksichtigen, ob eine Sperrzeit zu verhängen ist oder ein Ausnahmefall vorliegt.

Die Geschäftsanweisungen werden unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung in regelmäßigen Abständen aktualisiert und antizipieren insoweit das maßgebliche Verwaltungs-handeln. Im Fall von Widersprüchen treten die Geschäftsanweisungen hinter den gesetzlichen Regelungen zurück, sodass es sich bei diesen insofern weder um Gesetze noch um Verordnungen handelt.

Seit dem 25.01.2017 gelten für die Agentur für Arbeit neue Geschäftsanweisungen, die beim Abschluss von Aufhebungsverträgen größeren Gestaltungsspielraum gewähren, sodass Aufhebungsverträge unter bestimmten Voraussetzungen wieder ohne die zwangsläufige Folge einer Sperrzeit vereinbart werden können.

Dazu müssen die folgenden Punkte kumulativ erfüllt sein:

  1. Eine Kündigung des Arbeitgebers wurde mit Bestimmtheit in Aussicht gestellt (d.h., dass ein Aufhebungsvertrag die ohnehin sichere Kündigung ersetzen wird).
  2. Die Kündigung wäre gestützt auf betriebliche oder personenbezogene (nicht: verhaltensbedingte) Gründe.
  3. Die (fiktive) Arbeitgeberkündigung wäre zu demselben Zeitpunkt oder früher wirksam geworden, d.h. der Aufhebungsvertrag muss die geltenden Kündigungsfristen beachten und darf den Beendigungszeitpunkt ­– verglichen mit der in Aussicht gestellten Kündigung – nicht vorverlegen.
  4. Der Mitarbeitende war nicht unkündbar (z.B. wegen tariflichen Sonderkündigungsschutzes für ältere Beschäftigte).
  5. Es wird eine Abfindung von bis zu 0,5 Monatsgehältern für jedes Jahr des Arbeitsverhältnisses gezahlt (entsprechend der Regelung in §1a KSchG).

 

Die begrenzte Höhe der Abfindung ist häufig das kritischste Merkmal. Wird eine Abfindung von weniger als 0,25 oder mehr als 0,5 Bruttomonatsverdiensten pro Beschäftigungsjahr gezahlt, überprüft die Arbeitsagentur genau, ob die (angedrohte) Kündigung sozial gerechtfertigt gewesen wäre.

Löst der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis durch eigene Kündigung oder durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages und führt er dadurch die Arbeitslosigkeit herbei, müssen eine Vielzahl von Fragen mittels eines Fragebogens (siehe BK-Vorlage, S.22f. Geschäftsanweisung zu §159 SGB III) beantwortet werden. Anhand der beantworteten Fragen überprüft die Arbeitsagentur dann aus welchen Gründen und unter welchen Umständen das Arbeitsverhältnis beendet wurde bzw. ob der Arbeitnehmer die Arbeitslosigkeit hätte vermeiden können.

Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit fragt die Arbeitsverwaltung verschiedene Sachverhalte ab und stellt anhand der Umstände des Einzelfalles fest, ob es sich um eine rechtmäßige Kündigung handelte. Nur in diesem Fall sieht die Agentur für Arbeit dann von einer Sperrzeit ab.

 

Fazit

Die Bundesagentur für Arbeit hat mit der Neufassung der Geschäftsanweisung einen größeren Gestaltungsspielraum dafür geschaffen, dass zukünftig wieder vermehrt auf Aufhebungsvereinbarungen zurückgegriffen werden kann, ohne zwangsläufig dem Risiko einer Sperrzeit beim Bezug des Arbeitslosengeldes ausgesetzt zu sein. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, dass die Arbeitsgerichte mit weniger „vorsorglichen” Kündigungsschutzklagen belastet sind, die einzig und allein den Abschluss eines Vergleichs zur Vermeidung einer Sperrzeit zum Ziel hatten.

 

Praxishinweise

Es gibt auch Möglichkeiten die Sperrzeit zu vermeiden, so u.a. durch (1) die unwiderrufliche Freistellung oder (2) die Zusage eines sog. Sperrzeitausgleichs.

  • Die unwiderrufliche Freistellung beendet das Arbeitsverhältnis nicht, sie entbindet den Arbeitnehmer viel mehr von seiner vertraglichen Pflicht zur Arbeitserbringung unter fortwährender Lohnzahlung. Bei der unwiderruflichen Freistellung durch den Arbeitgeber kann vom Arbeitnehmer endgültig keine Arbeit mehr verlangt werden. Der Beginn der Sperrzeit wird durch eine unwiderrufliche Freistellung vorverlagert.

 

Die Vereinbarung einer dreimonatigen Kündigungsfrist ist in vielen Branchen marktüblich, sodass sich das Problem der Sperrzeit bereits durch eine unwiderrufliche Freistellung während der Kündigungsfrist wirksam begrenzen lässt, indem die Sperrzeit am ersten Tag der Freistellung beginnt und  -sofern bspw. eine 12-wöchige Freistellung vereinbart wird- am ersten Tag nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits abgelaufen ist. Das Arbeitslosengeld kann dann sofort nach Ende der Zahlung der Arbeitsvergütung bezogen werden.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass die unwiderrufliche Freistellung des Arbeitnehmers bis zum Ende seines Arbeitsvertrages faktisch ähnlich wie eine Verkürzung der Sperrzeit wirkt. Der Vorteil der unwiderruflichen Freistellung besteht darin, dass das ALG I in einem Zeitabschnitt gesperrt wird, in dem weiterhin Lohn gezahlt wird. Die Sperrzeit wird für den Arbeitnehmer damit weniger „spürbar“.

  • Bei der Zahlung eines sog. Sperrzeitausgleichs handelt es sich um eine Einmalzahlung des Arbeitgebers in Höhe eines Bruttomonatsgehalts, die als Ausgleich für den wirtschaftlichen Nachteil einer verhängten Sperrzeit dient.

 

Fällig ist der Sperrzeitausgleich zum Beendigungszeitpunkt, frühstens hingegen nach Vorlage des Sperrzeitbescheids der Bundesagentur für Arbeit beim Arbeitgeber. Es besteht die Pflicht des Arbeitnehmers bei nachträglicher Änderung oder Aufhebung des Sperrzeitbescheids den Arbeitgeber unverzüglich zu informieren, da sich daran gemessen auch der Sperrzeitausgleich entsprechend verringert bzw. erhöht. Hat der Arbeitnehmer bereits einen zu hohen Sperrzeitausgleich erhalten, muss der zu viel gezahlte Betrag an den Arbeitgeber unverzüglich zurückerstattet werden. Der Einwand der Entreicherung ist ausgeschlossen.

Es gibt grundsätzlich keine arbeitgeberseitige Verpflichtung, den Arbeitnehmer auf nachteilige Folgen in Bezug auf Versorgungsleistungen hinzuweisen. Auf die Nachfrage des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber diesen allerdings richtig und vollständig informieren bzw. an die Bundesagentur für Arbeit verweisen. Um der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht in jedem Fall zu genügen und Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers infolge der Verletzung der Fürsorgepflicht zu entgehen, ist es insofern empfehlenswert, in den Aufhebungsvertrag eine Textpassage aufzunehmen, wonach die Erteilung verbindlicher Auskünfte nur durch die Bundesagentur für Arbeit bzw. das zuständige Finanzamt erfolgt.

Den Arbeitnehmern sollte gleichermaßen dazu geraten werden, sich die Sperrzeitneutralität des ausgehandelten Aufhebungsvertrages vor Unterzeichnung dessen durch die zuständige Arbeitsagentur bestätigen zu lassen.

Über den Autor

Chiara Herrmann ist als juristische Mitarbeiterin am Standort Dresden tätig.

Sie absolvierte ihr Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig. Das dem Studium anschließende Referendariat durchlief sie im Gerichtsbezirk des Oberlandesgerichts Dresden beim Landgericht Dresden.

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