Erstinstanzliche Entscheidungen zweier Arbeitsgerichte (Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 20.12.2023 – 18 Ca 3954/23, und Arbeitsgericht Freiburg, Urteil vom 04.06.2024 – 2 Ca 51/24) haben jüngst für Unsicherheiten bei der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers in der sechsmonatigen Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes geführt. In den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses genießt ein Arbeitnehmer keinen allgemeinen Kündigungsschutz; auch der besondere Kündigungsschutz Schwerbehinderter greift in diesem Zeitraum noch nicht. Im Ergebnis kann daher das Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Arbeitnehmers in den ersten sechs Monaten ohne Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt werden; Kündigungsgründe, die zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung führen, müssen nicht vorliegen.
Nach Ansicht der beiden Arbeitsgerichte Köln und Freiburg ist es jedoch erforderlich, auch in der sechsmonatigen Wartezeit vor Ausspruch der Kündigung ein Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Erfolge dies nicht, könne dieser Umstand eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung darstellen und damit zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.
Völlig zu Recht folgt das Landesarbeitsgericht Thüringen (Urteil vom 04.06.2024 – 1 Sa 201/23) dieser Auffassung nicht. Das Landesarbeitsgericht verweist dabei auf die entsprechende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (21.04.2016 – 8 AZR 402/14) zur Vorgängerregelung des § 84 Abs. 1 SGB IX.
Da Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Thüringen eingelegt wurde, kann jedoch noch keine endgültige Entwarnung gegeben werden. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung ist daher zu empfehlen, dass Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX vorsorglich durchzuführen, was natürlich voraussetzt, dass sich der Arbeitgeber rechtzeitig vor Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist zur Kündigung entscheidet und damit noch genügend Zeit hat, das Präventionsverfahren durchzuführen und danach die Kündigung noch innerhalb der Wartefrist auszusprechen.