11. März 2021
Individualarbeitsrecht, Arbeitsrecht und Pandemie
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Urlaubsrecht in der Coronakrise

Im Zusammenhang mit dem andauernden Lockdown, Kurzarbeit oder lediglich auftragsbedingt vermindertem Bedarf von Arbeitskräften und gleichzeitiger Mehrung der Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer stellen sich Arbeitgeber vermehrt die Frage, wie sie hierbei rechtssicher verfahren können. In der Folge sollen die Fragen hinsichtlich des Umgangs mit Urlaubsansprüchen der Arbeitnehmer geklärt und Einflussmöglichkeiten der Arbeitgeber aufgezeigt werden.

I. Anordnung des Urlaubs durch den Arbeitgeber

Der Arbeitgeber hat die Wünsche des Arbeitnehmers bei der Festlegung des Urlaubs zu berücksichtigen (vgl. § 7 BUrlG). Allerdings ist der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG nicht darauf verwiesen einen Urlaubswunsch abzuwarten (24.3.2009 – 9 AZR 983/07). Vielmehr kann dieser auch selbst ein Initiator bei der Festlegung des Urlaubs sein. Fraglich ist, ob der Arbeitgeber ohne Mitwirkung des Arbeitnehmers Urlaub anordnen kann.

1.
Eine „einseitige Anordnung“ des Urlaubs durch den Arbeitgeber ist möglich, soweit der Arbeitnehmer sich darauf „rügelos“, also ohne Widerworte einlassen sollte. Der Arbeitnehmer müsste nach der Rechtsprechung unverzüglich ein „Annahmeverweigerungsrecht“ ausüben, wenn er mit der einseitigen Urlaubserteilung nicht einverstanden ist. Unterbleibt eine solche Mitteilung, könne der Arbeitgeber davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer den Urlaub entsprechend nehmen werde (vgl. BAG 6.9.2006 – 5 AZR 703/05).

Aus dem Schweigen des Arbeitnehmers kann rechtlich wohl nicht ohne weiteres auf eine Zustimmung zur Urlaubsfestlegung geschlossen werden, auch nicht durch (kommentarlose) vermeintliche Vollziehung des Urlaubs. Eine konkludente Zustimmung bzw. eine rechtsmissbräuchliche verspätete Verneinung der Zustimmung wird in der BAG-Rechtsprechung aus den Regelungen der §§ 293 ff. BGB i. V. m. § 242 BGB hergeleitet. Die älteren Entscheidungen stellen mit identischem Ergebnis auf § 243 BGB ab. Eine wohl nur dogmatisch relevante Streitigkeit ohne Auswirkung auf das Ergebnis an sich.

Es wird, ähnlich wie im Recht der Verwirkung, auf die Umstände des Einzelfalls ankommen. Hat der Arbeitgeber z.B. vor der einseitigen Anordnung des Urlaubs seine Mitarbeiter darum gebeten Urlaubswünsche einzureichen? Wie hat der Arbeitgeber die Anordnung des Urlaubs kommuniziert? Hat er, ggf. unter Fristsetzung, auf das Widerspruchsrecht der Mitarbeiter hingewiesen?

Das Widerspruchsrecht endet spätestens mit Beginn der tatsächlichen Freistellung des Arbeitnehmers. Bleibt der Arbeitnehmer der Arbeit dann fern, ist er im Urlaub. Ein Annahmeverzug des Arbeitgebers besteht nicht.

2. 

Erfolgt ein zulässiger Widerspruch durch den Arbeitnehmer, ist von einer deutlichen Schwächung der Position des Arbeitgebers auszugehen. In solchen Konfliktfällen wäre eine einseitige Anordnung des Urlaubs gegen den Willen des Arbeitnehmers nur dann möglich, wenn der Arbeitgeber tatsächlich befugt wäre, den Urlaub einseitig festzulegen. Rechtsprechung zu dieser Frage ist aktuell nicht vorhanden. Die Literatur lehnt im Ergebnis das Vorliegen von Tatbeständen ab, aus denen sich eine solche Befugnis des Arbeitgebers herleiten ließe. Diese Ablehnung wird primär damit begründet, dass der Arbeitgeber hierdurch sein eigenes wirtschaftliches Risiko auf den Arbeitnehmer abwälzen würde (vgl. § 615 BGB).

Die Befürwörter einer Anordnungsbefugnis ziehen allerdings – im Umkehrschluss aus dem Ablehnungsgrund der dringlichen betrieblichen Gründe nach § 7 Abs. 1 BUrlG – eine Möglichkeit für den Arbeitgeber aus eben diesen betrieblichen Gründen den Urlaub einseitig anzuordnen. Teilweise wird wiederum auf § 242 BGB verwiesen. So müssten die Interessen beider Parteien des Arbeitsvertrages bei der Urlaubsfestlegung berücksichtigt werden.

Ausgehend von dieser Literaturmeinung soll bei einem pandemiebedingten Lockdown die Anordnung des Urlaubs durch den Arbeitgeber aus dringenden betrieblichen Gründen möglich sein. Quasi eine Anwendung des § 7 BUrlG in analoger Form.

Gegen eine einseitige Festlegung des Urlaubs durch den Arbeitgeber spricht wiederum der Wortlaut des § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG. Danach sollen die Betriebsparteien (also BR und AG) im Streitfall bestimmen können, wie der Urlaub festzulegen ist. Viel gewichtiger ist jedoch wohl das bereits erwähnte Argument der Verlagerung des Betriebsrisikos des Arbeitgebers auf den Arbeitnehmer. Durch die Anordnung des Urlaubs in auftragsschwachen Zeiten würde das Betriebsrisiko auf den Arbeitnehmer abgewälzt. Der Arbeitgeber würde sich einem möglichen Annahmeverzug auf Kosten der Urlaubsplanung des Arbeitnehmers entziehen.

So muss in Zweifel gezogen werden, dass der Arbeitgeber berechtigt ist, temporäre Betriebsausfälle durch eine einseitige Urlaubsanordnung abzufangen. Mittel der Wahl ist und bleibt die Kurzarbeit.

Allerdings ist eine Kürzung der Urlaubsansprüche möglich, mehr dazu später.

II. Betriebsurlaub für Alle als Möglichkeit der einseitigen Anordnung?

Bei der Frage ob und inwiefern der Arbeitgeber Betriebsurlaub / Betriebsferien im jeweiligen Betrieb einführen kann, ist zwischen Betrieben mit und ohne Betriebsrat zu unterscheiden.

1. 

Das BAG hat in einer schon älteren Entscheidung die Einführung von Betriebsurlaub auf Initiative des Arbeitgebers als möglich angesehen (28.07.1981 – 1 ABR 79/79). Die Auslegung dieser Entscheidung ist allerdings umstritten (vgl. Bayreuther in NZA 2020, S. 1057). Wie oben bereits festgestellt können einzelne Arbeitnehmer nicht aus dringenden betrieblichen Gründen einseitig in Urlaub geschickt werden. Nichts anderes soll nach der oben zitierten Literaturmeinung bei der Anordnung des Urlaubs für die gesamte Belegschaft gelten.

Die benannte Literaturmeinung ist abzulehnen. Jedoch müssen die zugrunde liegende Entscheidung und auch die hierauf aufbauende Instanzrechtsprechung (vgl. LAG Düsseldorf v. 20.06.2002, AZ: 11 Sa 378/02) genau gelesen werden. So wurden jeweils in der Entscheidung des Arbeitgebers betriebstechnische bzw. branchenbezogene Gründe sowie das Gesamtinteresse der Belegschaft berücksichtigt. Ausgehend von den benannten Entscheidungen wird also eine Art von „Richtigkeitskontrolle“ bei der Anordnung von Betriebsferien vorgenommen.

Im Ergebnis kann man vereinfacht sagen, dass die Einführung von Betriebsurlaub aus dringenden betrieblichen Gründen möglich ist, wenn ein Ausgleich der Interessen der Belegschaft und des Arbeitgebers angestrebt wurde. So ging es in der Rechtsprechung um Betriebsferien in der Sommerzeit, also in Phasen, in denen ohnehin der Großteil der Belegschaft Urlaub genommen hätte. Auch wurden hierbei Verflechtungen der Arbeitgeber mit der jeweiligen Branche und sich hieraus ggf. ergebenden Liefer- und Absatzschwierigkeiten berücksichtigt.

Anders gestaltet sich jedoch der hier zu besprechende Fall, in dem der Arbeitgeber temporäre Betriebsausfälle durch eine einseitige Urlaubsanordnung abgefangen will. Zweifel bezüglich der Wirksamkeit von Betriebsferien bleiben insoweit also bestehen.

Nur der Vollständigkeit halber sei jedoch darauf hingewiesen, dass das BAG einen Verbrauch von 3/5 des Urlaubs der Belegschaft durch Betriebsferien als gerechtfertigt ansah.

2. 

Existiert ein Betriebsrat und wird der Betriebsurlaub durch Betriebsvereinbarung mit diesem Betriebsrat vereinbart, ist grundsätzlich mehr Gestaltungsspielraum gegeben. Durch die Beteiligung des Betriebsrats sind die Belange der Belegschaft grundsätzlich berücksichtigt und können mit den Interessen des Arbeitgebers in Einklang gebracht werden. Die Möglichkeit einer solchen Regelung ergibt sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG.

Aber auch hier muss ausgehend von der oben benannten Entscheidung des BAG eine Art der Angemessenheitskontrolle vorgenommen werden. In allen Fällen sind die Betriebsferien also z.B. mit ausreichendem Vorlauf anzukündigen. Bereits gewährter Urlaub kann zudem nicht „umgeplant“ werden.

III. Kurzarbeit

Für das Verhältnis von Kurzarbeit zu Urlaub findet sich ein Grundsatzurteil des BAG (16.12.2008 – 9 AZR 164/08). Während der Kurzarbeit besteht keine Arbeitspflicht. Eine Urlaubsgewährung und Urlaubsabgeltung sind daher während der Kurzarbeit nicht möglich. Sollte trotzdem Urlaub gewährt und abgegolten werden sollen, so ist der Arbeitnehmer aus der Kurzarbeit für die Zeit des Urlaubs auszunehmen. Als Vergütung steht dem Arbeitnehmer Urlaubsentgelt (ggf. auch Urlaubsgeld) nach § 11 Abs. 1 BUrlG statt Kurzarbeitergeld zu. Die Urlaubsvergütung darf nicht geringer ausfallen als der Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung und der gesetzliche Mindesturlaub nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG darf weiter nicht unterschritten werden (EuGH 13.12.2018 – C-385/17).

Der Urlaubsanspruch einzelner Arbeitnehmer ist bei der Einführung der Kurzarbeit durch Betriebsvereinbarung nur schwer zu gestalten, denn die Betriebsparteien können nicht auf individuelle Urlaubsdispositionen zugreifen. Wer also vor Einführung der Kurzarbeit bereits Urlaub genehmigt bekommen hat, verliert diesen zwar möglicherweise, kann ihn aber nach Ende der Kurzarbeit nachverlangen, wenn er von der Kurzarbeitsabrede mit umfasst ist. Der Arbeitgeber wird daher im eigenen Interesse darauf achten müssen, das Verhältnis zwischen Kurzarbeit und einem bereits genehmigten Urlaub in der Individual- bzw. Betriebsvereinbarung klarzustellen, mit der Kurzarbeit eingeführt wird.

Achtung:

Während der Kurzarbeit ist kein Widerspruch des Arbeitnehmers erforderlich, um eine Anordnung des Urlaubs durch den Arbeitgeber vereiteln zu können. Vielmehr ist eine ausdrückliche Zustimmung des Arbeitnehmers zur Aufhebung der Kurzarbeit und Eintritt in den Urlaub notwendig.

Bei der Einführung von „Kurzarbeit Null“ ist nach der Rechtsprechung des EuGH (13.12.2018 – C-385/17) eine Kürzung des Urlaubsanspruchs pro-rata-temporis wegen der unterjährigen Änderung der Arbeitszeit zulässig und sollte von Arbeitgebern entsprechend geregelt werden (siehe Mandantenbrief Nr. 1/2021). Eine Kürzungsbefugnis ergibt sich nach der Rechtsprechung von Rechts wegen und bedarf keiner besonderen Vereinbarung.

IV. Persönliche Unzumutbarkeit der Leistungserbringung

Nach einer neueren Entscheidung des BAG (19.3.2019 – 9 AZR 315/17) ist eine Kürzung des Jahresurlaubs bei einer Einrede der Leistungsverweigerung nach § 275 Abs. 3 BGB aufgrund persönlicher Unzumutbarkeit der Leistungserbringung (etwa wegen einer Schul- oder Kitaschließung akut notwendig gewordenen Beaufsichtigung der Kinder) möglich. Der Arbeitnehmer hat im Gegenzug ggf. einen Entgeltanspruch nach § 616 BGB oder einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1a IfSG.

V. Quarantäne

Bei der Anordnung einer Quarantäne besteht eine rechtliche Unmöglichkeit der Leistungserbringung nach § 275 Abs. 1 BGB, da die Arbeitsleistung Fixschuldcharakter hat. Eine gleichzeitige Urlaubsgewährung bzw. -abgeltung ist nicht möglich, auch eine anteilige Kürzung des Urlaubs ist unzulässig. Dasselbe gilt, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich während des Urlaubs erkrankt. Dies folgt aus § 9 BUrlG.

VI. Fazit

Der Arbeitgeber ist bei der individuellen Festlegung des Urlaubs auf die positive Mitwirkung des Arbeitnehmers oder zumindest dessen Passivität angewiesen. Daher ist ein Vorgehen mit Fingerspitzengefühl ratsam. Von einer einseitigen Festlegung durch den Arbeitgeber, gegen den Willen des oder der Arbeitnehmer, ist mangels entsprechender Rechtsprechung grundsätzlich abzuraten. Die betriebliche Realität zeigt aber, dass die Anordnung von Betriebsferien oftmals ohne Gegenwehr bleibt. Eine Absicherung über einen existierenden Betriebsrat ist zwingend anzuraten.

Eine Kürzung des Urlaubs ist nach aktueller Rechtsprechung bei Kurzarbeit und Leistungsverweigerung nach § 275 Abs. 3 BGB möglich. Zur exakten Berechnung darf auf die Ausführungen im Mandantenbrief Nr. 1/2021 verwiesen werden.

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