02. Juli 2025
Kündigungsrecht, Prozessführung
Autor Markus Vogt
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Verdachtskündigung – Die Anhörung des Arbeitnehmers

Nicht nur eine erwiesene, schwerwiegende Pflichtverletzung, sondern schon der Verdacht einer schweren Pflichtverletzung gegenüber dem Arbeitgeber kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Man spricht dann von einer Verdachtskündigung.

Die Kündigung wegen erwiesener Pflichtverletzung – man spricht in diesem Fall auch von einer Tatkündigung – ist von der Verdachtskündigung abzugrenzen. Es handelt sich um zwei verschiedene Kündigungsgründe mit der Folge, dass der Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ausdrücklich zu einer Tat- und einer Verdachtskündigung anzuhören ist.

Dorgamtisch ist die Verdachtskündigung als personenbedingte Kündigung einzuordnen, weil sie an den Verlust des für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen Vertrauens anknüpft.

Die Verdachtskündigung hat eigene – von der Tatkündigung etwas abweichende – Voraussetzungen und Besonderheiten.

Hält der Arbeitgeber eine Pflichtverletzung für erwiesen, ist er nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer vor dem Ausspruch der Kündigung die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Anders sieht es jedoch im Falle der Verdachtskündigung aus, da die erhöhte Gefahr besteht, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung beschuldigt wird.

Der Arbeitgeber ist bei einem nur bestehenden Verdacht verpflichtet, alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu unternehmen. Aus diesem Grund ist die vorherige Anhörung des verdächtigen Arbeitnehmers eine echte Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Dadurch soll dem Arbeitnehmer die Gelegenheit gegeben werden, die Verdachtsmomente zu entkräften und Entlastungstatsachen vorzutragen, um den Arbeitgeber so vor einer voreiligen Entscheidung zu bewahren.

Eine ohne vorherige Anhörung ausgesprochene Verdachtskündigung ist schon aus diesem Grund unwirksam. Das gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß angehört wurde.

Deshalb ist es sinnvoll, sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen der Anhörung auseinanderzusetzen, um schwerwiegende Fehler zu vermeiden.

Die Aufklärung des Sachverhalts – damit auch die Anhörung – hat mit der gebotenen Eile zu erfolgen. In der Regel darf hierbei eine Frist von einer Woche nicht überschritten werden. Während der Dauer der Aufklärung ist die 2-wöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB gehemmt.

Noch nicht abschließend geklärt ist, ob innerhalb der Wochenfrist das eigentliche Anhörungsgespräch durchgeführt werden muss oder ob es ausreichend ist, wenn innerhalb der Wochenfrist das Einladungsschreiben zum Anhörungsgespräch dem Arbeitnehmer zugegangen ist.

Überwiegend wird im juristischen Schrifttum wohl die Auffassung vertreten, dass das Gespräch selbst innerhalb der Wochenfrist stattgefunden haben muss. Bis zur abschließenden Klärung durch das Bundesarbeitsgericht sollte so verfahren werden.

Grundsätzlich hat die Anhörung des Arbeitnehmers vor der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BGB zu erfolgen. Die Einlassungen des Arbeitnehmers im Rahmen seiner Anhörung sind dem Betriebsrat mitzuteilen, damit diese in den Entscheidungsprozess mit einfließen können.

Die Art und Weise der Anhörung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Üblich ist in der Praxis ein persönliches „Anhörungsgespräch“. Denkbar ist aber auch ein Teams-Meeting, Telefonat oder eine schriftliche Stellungnahme.

Obwohl gesetzlich nicht vorgeschrieben, ist es sinnvoll und aus Beweissicherungsgründen geboten, die Einladung zum „Anhörungsgespräch“ schriftlich zu verfassen. Das Einladungsschreiben – mit einem konkreten Termin zur Anhörung – sollte persönlich gegen Empfangsquittung übergeben und/oder per Einwurf-Einschreiben und/oder per E-Mail an den Arbeitnehmer versendet werden.

Für einen Auszubildenden hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass das Einladungsschreiben den Gegenstand des Gesprächs – also die konkreten Verdachtsmomente – noch nicht beinhalten muss. Diese Überlegungen dürften erst recht für den „normalen“ Arbeitnehmer gelten, der weniger schutzbedürftig ist und bei dem ebenfalls die Gefahr der Verdunkelung besteht, wenn die Verdachtsmomente bereits frühzeitig mitgeteilt werden. Andererseits darf der verdächtige Arbeitnehmer nicht unter einem Vorwand – etwa wegen einer beabsichtigten Gehaltserhöhung – zu einem Anhörungsgespräch bestimmt werden.

Es empfiehlt sich – etwa in der Betreffzeile – zum Ausdruck zu bringen, dass es sich bei dem terminierten Gespräch um eine „Anhörung zum Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung“ handelt.

Ob dem verdächtigen Arbeitnehmer die Verdachtsmomente bereits im Einladungsschreiben mitgeteilt werden sollten, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei komplexen Sachverhalten kann es u.U. sinnvoll sein, die Verdachtsmomente, soweit diese dem Arbeitgeber bekannt sind, bereits im Einladungsschreiben mitzuteilen, sofern keine Verdunkelungsgefahr besteht.

Im Gespräch selbst muss der verdächtige Sachverhalt hinreichend konkretisiert werden. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Umstände zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen zu benennen.

Wird dem Arbeitnehmer eine schriftliche Stellungnahme eingeräumt oder wünscht der Arbeitnehmer eine solche, ist der verdächtige Vorfall so konkret darzustellen, dass der Arbeitnehmer ausreichend und detailliert Stellung nehmen kann. Hierbei dürfen dem Arbeitnehmer keine wesentlichen Ermittlungserkenntnisse vorenthalten werden.

Dem Arbeitnehmer ist – sofern er dies ausdrücklich wünscht – Gelegenheit zu geben, einen Rechtsanwalt oder eine sonstige Vertrauensperson hinzuzuziehen bzw. eine Stellungnahme hierüber abzugeben. Der Arbeitnehmer ist aber nicht verpflichtet, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken bzw. eine Stellungnahme abzugeben, denn der Arbeitnehmer muss sich nicht selbst belasten. Selbst wenn sich der Arbeitnehmer im Rahmen der Anhörung nicht eingelassen hat, kann er sich in einem späteren Kündigungsschutzverfahren auf entlastenden Tatsachenvortrag berufen, auch wenn er die Tatsachen bereits im Rahmen der Anhörung hätte vortragen können.

Ausnahmsweise führt eine fehlende Anhörung nicht zur Unwirksamkeit der Verdachtskündigung. Das gilt insbesondere dann, wenn die Anhörung aus vom Arbeitgeber nicht verschuldeten Gründen unterblieben ist.

Das ist etwa der Fall, wenn der Arbeitnehmer – beweisbar – erklärt, dass er sich zu den erhobenen Vorwürfen nicht äußern wird (s.o.). Das ist aber auch der Fall, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, an einem Anhörungsgespräch teilzunehmen oder sich schriftlich zu den Verdachtsmomenten zu äußern. Der Arbeitgeber muss nicht abwarten, bis sich der Arbeitnehmer wieder äußern kann.

Erklärt der verdächtige Arbeitnehmer zu Beginn eines Anhörungsgespräch, dass er sich nicht äußern wird, sondern alles über seinen Rechtsanwalt regeln werde, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, vor Ausspruch der Kündigung einen weiteren Gesprächstermin – in Anwesenheit des Rechtsanwaltes – zu ermöglichen. Vielmehr hat der Arbeitgeber in einem solchen Fall seiner Pflicht zur Anhörung genügt. Etwas anderes gilt dann, wenn sich der Arbeitnehmer – zumindest im Ansatz – mit den Vorwürfen auseinandergesetzt hat und sich hieraus weiterer Aufklärungsbedarf ergibt.

Noch nicht abschließend geklärt ist auch, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass der Ausspruch einer Kündigung beabsichtigt ist, wenn die Vorwürfe nicht ausgeräumt werden. Teilweise wird im juristischen Schrifttum die Auffassung vertreten, dass die Anhörung unzureichend ist – mit der Folge, dass die Verdachtskündigung unwirksam ist –, wenn der vorstehende Hinweis unterblieben ist.

Bis zur abschließenden Klärung durch das Bundesarbeitsgericht sollte ein entsprechender Hinweis – bereits im Einladungsschreiben – vorsorglich aufgenommen werden.

Gelegentlich kommt es vor, dass sich nach der Anhörung zu konkreten Verdachtsmomenten ein weiterer Sachverhalt herausstellt, der den bisherigen Verdacht verstärkt. Der Arbeitnehmer wurde bspw. zu den Sachverhaltskomplexen A und B angehört und später stellt sich heraus, dass auch in Bezug auf C dieser Verdacht besteht, was der Arbeitgeber bei der Anhörung zu A und B aber noch nicht wusste.

Es stellt sich dann die Frage, ob der Arbeitnehmer erneut – diesmal zu C – angehört werden muss. Das Bundesarbeitsgericht verneint eine erneute Anhörungspflicht mit der Begründung, dass sich der Arbeitnehmer in Kündigungsschutzverfahren gegen den neuen Verdacht – bspw. C – verteidigen kann. Durch diese Möglichkeit werden seine Rechte hinreichend gewahrt.

Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass sich der Arbeitgeber zur Begründung seiner Kündigung auch auf neu bekannt gewordene, aber bei Ausspruch der Kündigung objektiv bereits gegebener Gründe berufen kann, selbst wenn die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB abgelaufen ist. Der Wortlaut dieser Vorschrift bezieht sich nur auf den Ausspruch der Kündigung als solche. Ist die Kündigung aber bereits erfolgt, schließt § 626 Abs. 2 S. 1 BGB ein Nachschieben von Gründen nicht aus.

Sollten die vorstehenden Gesichtspunkte beachtet werden, scheitert die Verdachtskündigung jedenfalls nicht (mehr) an der unzureichenden Anhörung des Arbeitnehmers.

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Über den Autor

Herr Vogt ist Partner der Anwaltssozietät Dr. Schreiner + Partner. Er ist ansässig am Attendorner Standort und Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Hamburg und dem anschließenden Referendariat im Gerichtsbezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart, war Herr Vogt selbständiger Rechtsanwalt in Friedrichshafen am Bodensee. Er betreute insbesondere mittelständische Unternehmen in arbeits- und insolvenzrechtlichen Fragestellungen.

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