26. April 2023
Arbeitszeit, Betriebsverfassungsrecht
Autor Dr. jur. Daniel Quast LL.M.
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Zur Spruchfähigkeit von Regelungen zur einseitigen Änderung der regelmäßigen Arbeitszeit durch den Arbeitgeber

In Betriebsvereinbarungen, die die Verteilung der Arbeitszeit z.B. im Rahmen von Schichtmodellen festlegen, finden sich häufig Regelungen, nach denen die grundsätzlich vereinbarte Verteilung der Arbeitszeit bei entsprechendem Bedarf einseitig durch den Arbeitgeber verändert werden kann, etwa durch Verlängerung oder Verkürzung von Schichtzeiten oder durch die Anordnung zusätzlicher Schichten etwa am Samstag. Darüber hinaus finden sich häufig Regelungen zu so genannten Eilfällen, zum Beispiel für den Fall, dass Mitarbeiter kurzfristig krankheitsbedingt ausfallen und daher durch andere Mitarbeiter ersetzt werden müssen. Fraglich ist diesbezüglich, ob solche Regelungen, wenn sie nicht einvernehmlich mit dem Betriebsrat vereinbart werden können, durch einen Spruch der Einigungsstelle erfolgen können.

Einseitige Veränderung der Arbeitszeit

Entsprechende Regelungen betreffen die erzwingbare Mitbestimmung. Bei der Ausgestaltung von Schichtarbeit erfasst das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht nur die Frage, ob im Betrieb in mehreren Schichten gearbeitet werden soll, sondern auch die Festlegung der zeitlichen Lage der einzelnen Schichten und die Abgrenzung des Personenkreises, der Schichtarbeit zu leisten hat. Wird durch eine Schichtplanregelung auch die betriebsübliche Arbeitszeit vorübergehend verkürzt oder verlängert, hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitzubestimmen.

Über eine Regelung zur einseitigen Verlängerung von Arbeitszeiten durch Spruch der Einigungsstelle hatte das BAG (BAG, vom 09.07.2013, 1 ABR 19/12) zu entscheiden:

㤠5. Abweichungen vom Dienstplan

1.Das im Dienstplan ausgewiesene Dienstende ist variabel. Es kann je nach Auslastungssituation bei einer Dienstlänge 

 –von bis zu fünf Stunden um 30 Minuten und 

 –von über fünf Stunden um bis zu 45 Minuten 

verlängert werden, ohne dass dies der Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Diese Zeiten werden im Rahmen der laufenden Dienstplanung berücksichtigt und ausgeglichen. 

2.Der Dienstplan kann auf Grund von betrieblichen Erfordernissen oder persönlichen Interessen des Mitarbeiters (freiwilliger Tausch) geändert werden.

Das BAG hat die Auffassung vertreten, dass die Regelungskompetenz der Einigungsstelle durch diese Regelung überschritten worden und die vorgesehene Verlängerung der Dienste nicht vom Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gedeckt sei, da sie der Arbeitgeberin ermögliche, nicht nur eine vorübergehende, sondern eine dauerhafte Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit vorzunehmen. In der von keiner feststehenden Tatbestandsvoraussetzung abhängigen Ermächtigung des Arbeitgebers liege keine nur vorübergehende Verlängerung der Arbeitszeit. Vielmehr sei es dem Arbeitgeber durch den Einigungsstellenspruch dauerhaft möglich, das betriebsübliche Ende der Arbeitszeit um die festgelegten Zeiten hinauszuschieben. Eine Beschränkung auf nur vorübergehend auftretende und abstrakt beschriebene Anlassfälle oder eine zahlenmäßige Begrenzung der verlängerten Dienste sei durch die Einigungsstelle nicht vorgenommen worden.

Um entsprechende Regelungen zur einseitigen Verkürzung oder Verlängerung von Arbeits- bzw. Schichtzeiten also spruchfähig zu gestalten, müssen die vom BAG geforderten Beschränkungen eingebracht werden, etwa indem die Verlängerungs- bzw. Verkürzungsmöglichkeiten pro Monat zahlenmäßig beschränkt werden. Entsprechendes gilt auch für eine Regelung, nach der zusätzliche Schichten in der Woche angeordnet werden können. Darüber hinaus sollte möglichst konkret geregelt werden, unter welchen Tatbestandsvoraussetzungen solche Veränderungen der regelmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden können, damit der Kernbereich des Mitbestimmungsrechts unangetastet bleibt und kein unzulässige Verzicht auf die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates vorliegt. 

So ist etwa eine Regelung, dass im Rahmen der Wechselschicht das Arbeiten an Samstagen im Rahmen im Rahmen der Früh- und Spätschicht mit dem Schichtbeginn von frühestens 05:00 Uhr (Frühschicht) oder frühestens 13:00 Uhr (Spätschicht) je Arbeitnehmer maximal alle 2 Wochen und für 18 Samstage innerhalb eines Kalenderjahres festgelegt werden kann, sowie weitere Samstagsschichten geleistet werden können, wenn die betroffenen Arbeitnehmer damit einverstanden sind, nach den vorstehenden Erwägungen des BAG spruchfähig.

Bei diesen Regelungen besteht eine konkrete zahlenmäßige Beschränkung. Das BAG hat in der zitierten Entscheidung dazu ausgeführt, dass es möglich sei, konkrete Grundregeln festzulegen, die der Arbeitgeber bei der Aufstellung von Schichtplänen einzuhalten hat, sofern es sich um abstrakte und verbindliche Bestimmungen über die Ausgestaltung der unterschiedlichen Schichten und die Zuordnung von Arbeitnehmern zu den einzelnen Schichten handelt. Vereinbaren die Betriebsparteien solche Regularien, könne die Aufstellung der einzelnen Schichtpläne dem Arbeitgeber überlassen werden. Solche Grundregeln werden vorliegen aufgestellt: Einerseits durch eine zahlenmäßige Beschränkung, andererseits durch Regelungen zur Lage und Dauer der Samstagsarbeit.

In einer anderen Entscheidung des BAG (Beschluss vom 01.07.2003, 1 ABR 22/02) wurde bezogen auf eine vergleichbare Feiertagsregelung auch festgestellt, dass das Mitbestimmungsrecht auch durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung ausgeübt werden könne, die dem Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, im Einzelfall allein über die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit zu entscheiden. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats dürfe durch die Delegation der Entscheidung auf den Arbeitgeber nur nicht in seiner Substanz verletzt werden. In der Entscheidung wurde die Zulässigkeit der vergleichbaren Feiertagsregelung u. a. damit begründet, dass die Arbeitgeberin die beabsichtigte Abweichung von dem Jahresschichtplan dem Betriebsrat vorher mitzuteilen hatte. Dies sollte zum Anlass genommen werden, eine Regelung mit aufzunehmen, nach der entsprechende Änderungen der Arbeitszeit dem Betriebsrat mitzuteilen sind.

Eilfälle

Fraglich ist zudem, ob eine Regelung zu Eilfälle, nach der z.B. ein Wechsel eines Mitarbeiters von einer Schicht zur anderen zulässig sein soll, wenn ohne Schichtwechsel infolge eines kurzfristigen Ausfalls von Arbeitnehmern oder Anlagen die Prozessfähigkeit in einer Schicht nicht mehr gewährleistet ist, spruchfähig ist.

Eine vergleichbare Klausel hat das BAG für unwirksam erachtet (BAG, Beschluss vom 09.07.2013, 1 ABR 19/12), da diese das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausschließe. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats werde beseitigt, wenn die Arbeitgeberin den Betriebsrat in Eilfällen nur unterrichten müsse. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Eilfälle auch in dem entschiedenen Fall näher definiert waren und – sehr abstrakt – regelt wurde, nach welchen Grundsätzen die Arbeitnehmer auszuwählen sind (Freiwilligkeit, Prinzip der Gleichverteilung). Konkret handelte es sich um folgende Regelung:

„In den vorgenannten Eilfällen wird die Gesellschaft in erster Linie solche Personen einsetzen, die dazu freiwillig bereit sind. Ist dies nicht möglich, wird sie im Rahmen ihres Weisungsrechts das Prinzip der Gleichverteilung im Rahmen ihrer Anordnungen beachten. Die Gesellschaft ist zur Vornahme von Dienstplanänderungen für einen Zeitraum von maximal vier Kalendertagen, gerechnet ab Kenntnis vom Eilfall, berechtigt.“

Das BAG war dazu der Auffassung, dass die Regelung keine konkreten Grundsätze für die Heranziehung der Beschäftigten zu den einzelnen Diensten enthalte. Aus den Ausführungen des Gerichts ist allerdings zu schließen, dass der Verzicht auf die Zustimmung in Eilfällen durchaus spruchfähig sein kann, wenn die Eilfälle und die Grundsätze über die Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer konkret geregelt werden.

In einer weiteren Entscheidung führt das BAG (Beschluss vom 22.10.2019, 1 ABR 17/18) dazu aus:

„Auch sieht das Gesetz im Bereich der sozialen Angelegenheiten selbst für Eil- und Sonderfälle keine einseitige Regelungsbefugnis des Arbeitgebers oder dessen Möglichkeit vor, eine von § 87 Abs. 1 BetrVG erfasste Maßnahme vorläufig durchzuführen. Entsprechend fällt eine hierauf bezogene Regelung nicht in die Regelungskompetenz einer Einigungsstelle. Allerdings bleibt es den Betriebsparteien grundsätzlich unbenommen, bei der Ausgestaltung der nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmten Angelegenheit – hier: bei einer sehr kurzfristigen Änderung der Personaleinsatzplanung – spezifischen betrieblichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen und das Vorliegen einer Zustimmung des Betriebsrats festzulegen, wenn sich dies auf eine eng begrenzte, hinreichend konkret beschriebene und gegebenenfalls häufig auftretende Fallgestaltung bezieht.“

Weiter wurde durch das BAG (Beschluss vom 08.12.2015, 1 ABR 2/14) klargestellt:

„Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist in Eilfällen nicht ausgeschlossen. Die Betriebsparteien – und im Konfliktfall die Einigungsstelle – müssen daher regelmäßig Regelungen treffen, wie bei der Abweichung von einem beschlossenen Schichtplan verfahren werden soll.“

Eilfallregelungen sind also durchaus spruchfähig, allerdings müssen diese hinreichend konkret getroffen werden. Insofern ist in entsprechenden Regelungen klarzustellen, nach welchen konkreten Grundsätzen die Arbeitnehmer für den jeweiligen Schichtwechsel ausgewählt werden und was es in unserem Beispielsfall konkret bedeutet, dass die Prozessfähigkeit von Anlagen in einer Schicht nicht mehr gewährleistet ist.

Über den Autor

Herr Dr. jur. Quast LL.M. ist Rechtsanwalt und Mediator am Attendorner Standort der Sozietät Dr. Schreiner + Partner. Zudem ist er Lehrbeauftragter der FernUniversität Hagen im Modul Arbeitsvertragsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Nach dem Abschluss seines Referendariats war er als Rechtsanwalt im Wirtschaftsrecht und anschließend als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen tätig, an der er auch promovierte. Zudem erwarb er die Zusatzqualifikationen als Master of Laws im Wirtschaftsrecht sowie als Mediator in der Wirtschaftsmediation.

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