17. November 2022
Arbeitsrecht und Pandemie, Arbeits- und Gesundheitsschutz
Autor Volker Flach
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Einrichtungs­bezogene Impfpflicht und Beschäftigung

ArbG Köln vom 21.07.2022 – 8 Ca 1779/22

 

Amtlicher Leitsatz

Aus § 20a Abs. 1 IfSG ergibt sich auch ohne behördliche Entscheidung des Gesundheitsamts ein unmittelbares gesetzliches Tätigkeitsverbot für nicht immunisierte Pflegekräfte.

Der Sachverhalt

Der Kläger ist bei der beklagten Arbeitgeberin, die Senioreneinrichtungen betreibt, als Alltagsbegleiter und Betreuungskraft Sozialer Dienst beschäftigt. Nach Verabschiedung der gesetzlichen Neuregelung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht forderte die Beklagte ihre Mitarbeiter auf, sich gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Sie kündigte hierbei an, nicht geimpfte Mitarbeiter nach dem 15.03.2022 nicht mehr zu beschäftigen.

Aufgrund der Nichtvorlage eines Impfnachweises stellte die Beklagte den Kläger – wie auch sämtliche Mitarbeiter, die zu diesem Zeitpunkt keinen Impf- oder Genesenennachweis vorgelegt hatten – ab dem 16.03.2022 unbezahlt frei. Der Kläger, welcher sich auch nicht auf eine medizinisch begründete Kontraindikation berief, hielt die Freistellung für rechtswidrig und fordert die vollständige Vergütung für den Monat März 2022 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.

Die Beklagte hielt ihre Freistellungsanordnung für rechtmäßig. Sie war der Ansicht, dass § 20a Abs. 1 IfSG ein zwingendes gesetzliches Tätigkeitsverbot zu entnehmen sei, wonach in einer Senioreneinrichtung nach dem 15.03.2022 ohne Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises niemand mehr tätig werden dürfe. Zum Schutze der besonders vulnerablen Personengruppen in einem Seniorenzentrum hielt sie es auch zum Zwecke des Gesundheitsschutzes für geboten, keine Mitarbeiter ohne Impf- oder Genesenennachweis mehr tätig werden zu lassen. Sie verwies insofern auf ihr diesbezügliches Hygienekonzept. Da der Kläger aufgrund des fehlenden Immunisierungsnachweises in einer Senioreneinrichtung der Beklagten nicht einsatzfähig gewesen sei, fehle es an der zur Begründung eines Annahmeverzugs erforderlichen Leistungsfähigkeit des Klägers. Aufgrund des Grundsatzes der Monokausalität bestehe insofern auch kein Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall.Das ArbG wies die Klage ab. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Berufung des Klägers wird beim LAG unter dem Az. 4 Sa 637/22 geführt.

Die Entscheidung des ArbG Köln

Dem Beschäftigungsanspruch des Klägers steht bereits § 20a Abs. 1 IfSG entgegen, aus dem sich seit dem 16.03.2022 ein unmittelbares gesetzliches Tätigkeitsverbot für nicht immunisierte Pflegekräfte ergibt. Einer gesonderten behördlichen Entscheidung des Gesundheitsamtes bedarf es hierfür nicht.

Zwar hat ein Arbeitnehmer im bestehenden, ungekündigten Arbeitsverhältnis regelmäßig Anspruch auf tatsächliche vertragsgemäße Beschäftigung. Dieser Anspruch besteht jedoch ausnahmsweise nicht, wenn hinsichtlich der geschuldeten Tätigkeit ein gesetzliches Verbot besteht oder wenn sich ein Arbeitgeber bei der vorzunehmenden Interessenabwägung auf ein überwiegendes Interesse an einer Nichtbeschäftigung berufen kann. Beide Ausnahmekonstellationen waren vorliegend gegeben.

Wie dargelegt, bestand ein gesetzliches Verbot aus § 20a Abs. 1 IfSG hinsichtlich der geschuldeten Tätigkeit. Darüber hinausgehend überwog auch jedenfalls das Nichtbeschäftigungsinteresse der Beklagten in Anbetracht der gesetzlichen Wertung des § 20a IfSG. Darüber hinaus ist ein arbeitgeberseitiges Hygienekonzept, wonach in Anbetracht der gesetzlichen Wertung des § 20a IfSG nach dem 15.03.2022 keine nicht immunisierten Mitarbeiter mehr in einer Pflegeeinrichtung beschäftigt werden sollen, nicht zu beanstanden. Das Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers überwiegt deshalb das Beschäftigungsinteresse des Klägers. Diese Berechtigung der Freistellung schlägt auch auf den Vergütungsanspruch durch, mit der Folge, dass die Beklagte auch keinen Annahmeverzugslohn schuldet.

Fazit

Eine nicht gegen SARS-CoV-2 geimpfte und aus diesem Grunde freigestellte Pflegekraft hat keinen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung sowie Zahlung von Annahmeverzugslohn. Dem Beschäftigungsanspruch steht bereits § 20a Abs. 1 IfSG entgegen, aus dem sich seit dem 16.03.2022 ein unmittelbares gesetzliches Tätigkeitsverbot für nicht immunisierte Pflegekräfte ergibt. Einer gesonderten behördlichen Entscheidung des Gesundheitsamtes bedarf es hierfür nicht.

Über den Autor

Volker Flach ist seit 2020 als Rechtsanwalt am Hamburger Standort der Sozietät Dr. Schreiner + Partner tätig.

Er ist seit 2004 als Rechtsanwalt zugelassen und seit 2010 Fachanwalt für Arbeitsrecht. Vor seiner Tätigkeit bei der Kanzlei Dr. Schreiner + Partner war er in verschiedenen Kanzleien tätig und leitete zuletzt für über 12 Jahre das arbeitsrechtliche Dezernat einer Hamburger Kanzlei.

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