08. Dezember 2022
Arbeitszeit, Arbeits- und Gesundheitsschutz
Autor Markus Weron
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BAG-Entscheidungsgründe zur Pflicht der Arbeitszeiterfassung

Mit unserem Blogbeitrag im September haben wir bereits über die Entscheidung des BAG zur Arbeitszeiterfassung berichtet (https://www.rae-schreiner.de/pflicht-zur-arbeitszeiterfassung-bag-ueberholt-gesetzgeber). Damals lag der Öffentlichkeit lediglich die Pressemitteilung des BAG vor. Nunmehr wurde die Begründung der Entscheidung veröffentlicht. Diese bestätigen größtenteils, was bereits aus der Pressemitteilung herauszulesen war. Es findet sich jedoch noch eine kleine Überraschung, deren Auswirkungen für die Praxis höchst relevant sein dürften.

 

Aufzeichnung der Arbeitszeit

Das vonseiten des BAG offensichtlich gewünschte Ergebnis, nämlich eine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit, wird durch dieses aus § 3 ArbSchG hergeleitet. Dies ergab sich bereits aus der Pressemitteilung. Interessant ist aus rechtlicher Sicht, dass das BAG insbesondere eine abschließende Regelung der zwingenden Arbeitszeiterfassung durch das ArbZG, dort § 16, ablehnt. Hier kommt es zu dem Ergebnis, dass eine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeiten von Arbeitnehmern auch abseits des ArbZG geregelt sein kann, was wiederum das Tor zur erweiterten Auslegung des § 3 ArbSchG aufstößt.

Durch diese neue, an der Arbeitszeitrichtlinie der EU (2003/88/EG) orientierte, Auslegung des § 3 ArbSchG kommt das BAG sodann zur „allgemeinen“ Pflicht zur Zeiterfassung. Diese stellt sich sodann wie folgt dar:

  • Beginn und Ende der Arbeitszeit (inkl. Überstunden) sind zu erfassen
  • Die Aufzeichnung der Zeiten muss durch ein objektives, verlässliches und zugängliches System erfolgen
  • Die Zeiterfassung darf nicht freiwillig sein
  • Eine elektronische Erfassung muss nicht erfolgen
  • Eine Delegation an die Mitarbeiter selbst ist möglich, muss aber kontrolliert bzw. durchgesetzt werden

Unklar bleibt leider auch in den Gründen der Entscheidung, wie lange die Aufzeichnungen der Arbeitszeiten aufbewahrt werden müssen. Da das BAG die Regelungen des ArbZG offensichtlich nicht zur Anwendung bringt, scheidet eine analoge Anwendung des § 16 ArbZG (Aufbewahrungsfrist: zwei Jahre) aus.

Somit ist also klar, dass Arbeitgeber die gesamten Arbeitszeiten der Arbeitnehmer erfassen müssen. Diese Pflicht bestand im Kern schon seit dem parallelen Bestehen von ArbSchG und Arbeitszeitrichtlinie. Verstöße gegen § 3 ArbSchG sind gesetzlich nicht pönalisiert. Insbesondere für die Vergangenheit und die unmittelbare Zukunft drohen somit keine Bußgelder. Gleichwohl wird sich die Frage stellen, was Gerichte aus der neuen Rechtslage z. B. im Fall von Überstundenklagen machen. Auch könnten Auseinandersetzungen mit Berufsgenossenschaften und sonstigen sozialversicherungsrechtlichen Trägern durch die Entscheidung geprägt werden. Diese Folgen müssen freilich abgewartet werden.

 

Mitbestimmung des Betriebsrats

Ein weiterer zentraler Teil der Entscheidung des BAG ist die Auseinandersetzung mit den Beteiligungsrechten des Betriebsrats.

Bereits aus der Pressemitteilung ergab sich, dass ein Initiativrecht des Betriebsrats bezüglich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG abgelehnt wurde. Dies deckt sich mit der Feststellung des BAG, dass eine Zeiterfassung auch händisch erfolgen kann. Es verbleibt freilich bei der Mitbestimmung.

Dennoch kommt das BAG im Ergebnis zur Bejahung eines Initiativrechts im Hinblick auf die Zeiterfassung an sich. Dieses wird nunmehr jedoch aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hergeleitet und beschränkt sich nicht auf technische Anlagen.

Die Entscheidung stellt nunmehr klar, dass der Betriebsrat ein allgemeines Initiativrecht im Hinblick auf die Einführung einer jeglichen – auch händischen – Zeiterfassung hat.

Bislang konnte mit Blick auf blockierende Betriebsräte dazu geraten werden anstatt einer elektronischen Zeiterfassung einfach „am Betriebsrat vorbei“ eine händische Aufzeichnung der Arbeitszeiten vorzunehmen. Diese Lösung war zwar oftmals nicht attraktiv, stellte jedoch eine rechtlich saubere Übergangslösung dar.

Auch diese Option ist durch die vorliegende Entscheidung jedoch der Mitbestimmung des Betriebsrats unterworfen. Arbeitgeber befinden sich somit also in einer Zwickmühle. Sie müssen einerseits dem – neu ausgestalteten – gesetzlichen Auftrag aus § 3 ArbSchG gerecht werden, können dies aber erst umsetzen, wenn die entsprechenden Verhandlungen mit dem Betriebsrat abgeschlossen wurden. Dies ist im Zweifel erst nach einem Einigungsstellenverfahren und ggf. hierauf folgenden Rechtsmitteln möglich. Schlimmstenfalls kann der Arbeitgeber also erst nach mehreren Jahren die gesetzlich verpflichtende Arbeitszeiterfassung – wenn auch nur eine händische – einführen. Die Tatsache, dass diese Verzögerung nicht Bußgeldbewehrt ist, ist dahingehend nur ein schwacher Trost.

Über den Autor

Markus Weron ist seit 2007 als Rechtsanwalt zugelassen und am Karlsruher Standort unserer Anwaltskanzlei tätig.

Sein arbeitsrechtlich geprägtes Studium absolvierte er an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Während und nach seinem Referendariat war Markus Weron für eine Wirtschaftskanzlei in den Bereichen Arbeits- und Gesellschaftsrecht tätig, zunächst als Assesor, nach seiner Zulassung dann als Rechtsanwalt.

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