16. Juni 2023
Arbeitszeit, Individualarbeitsrecht
Autor Maximilian Schreiner
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Die Fahrtzeit als Arbeitszeit: Neues Urteil des VG Lüneburg

Arbeitszeit ist ein zentraler Begriff im Arbeitsrecht, dessen Interpretation weitreichende Auswirkungen auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat. Ein kürzlich ergangenes Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg hat dieses Thema erneut in den Fokus gerückt und beleuchtet die unterschiedlichen Arbeitszeitbegriffe, die im Arbeitsrecht Anwendung finden.

Die verschiedenen Arbeitszeitbegriffe im Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht gibt es drei unterschiedliche Arbeitszeitbegriffe, die jeweils in einem bestimmten Kontext zur Anwendung kommen: den vergütungsrechtlichen, den arbeitszeitgesetzlichen (ArbZG) und den betriebsverfassungsrechtlichen Begriff.

Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff bezieht sich auf die Zeit, die der Arbeitnehmer tatsächlich für den Arbeitgeber tätig ist und für die er daher einen Anspruch auf Vergütung hat. Nach § 612 BGB erhält der Arbeitnehmer dann eine Vergütung für seine Arbeit, wenn die Tätigkeit nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Arbeitnehmer seine Zeit im Interesse des Arbeitgebers nutzt.

Der Arbeitszeitbegriff im Sinne des ArbZG bezieht sich dagegen auf die für den Arbeitnehmerschutz relevanten Zeiten. Hierunter fallen alle Zeiten zwischen Beginn und Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Das ArbZG dient dem Schutz von Arbeitnehmern und der zugrundeliegende Arbeitszeitbegriff orientiert sich an diesem Zweck.

Der betriebsverfassungsrechtliche Arbeitszeitbegriff ist für die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in Bezug auf die Verteilung der Arbeitszeit, sowie bzgl. Überstunden und Kurzarbeit entscheidend.

Die bisherige arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zu Reisezeiten

Bislang ging das Bundesarbeitsgericht (BAG) davon aus, dass Reisezeiten nur dann als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG gelten, wenn der Arbeitnehmer entweder selbst fährt oder während der Reise tatsächliche Arbeitsleistungen erbringt, etwa durch Arbeiten am Laptop. In anderen Fällen wurden Reisezeiten, insbesondere solche mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Flugzeugen, in der Regel nicht als Arbeitszeit betrachtet, sondern als Freizeit, die lediglich eingeschränkt ist durch die Notwendigkeit der Reise.

Das Urteil des VG Lüneburg und der Arbeitszeitbegriff im Sinne des ArbZG

Das VG Lüneburg hat in seinem Urteil vom 02.05.2023 eine neue Interpretation des Arbeitszeitbegriffs im Sinne des ArbZG vorgenommen. In dem konkreten Fall handelte es sich um Mitarbeiter eines Speditionsunternehmens, die regelmäßig Fahrzeuge zu und von verschiedenen Orten transportierten. Hierfür mussten sie oft längere Bahnfahrten in Kauf nehmen.

Das Gericht befand, dass diese Reisezeiten als Arbeitszeit zu betrachten sind, auch wenn die Arbeitnehmer während der Reisezeit nicht tatsächlich arbeiteten oder sich am Steuer eines Fahrzeugs befanden. Es argumentierte, dass die Fahrten Teil der Arbeitsleistung der Mitarbeiter seien und dass ihre Freizeit durch die Notwendigkeit der Fahrten eingeschränkt werde.

Diese Auslegung stellt eine deutliche Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung dar und erweitert den Arbeitszeitbegriff im Sinne des ArbZG.

Auswirkungen des Urteils und Ausblick

Das Urteil des VG Lüneburg könnte weitreichende Auswirkungen auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben, insbesondere in Bereichen, in denen Reisen zum Arbeitsalltag gehören. Allerdings ist zu beachten, dass das Urteil speziell für den Fall von Mitarbeitern eines Speditionsunternehmens erging, deren Aufgabe darin besteht, Fahrzeuge zu verschiedenen Orten zu transportieren.

Es bleibt offen, ob das Urteil auch auf andere Arbeitsverhältnisse angewendet werden kann, in denen Reisezeiten einen bedeutenden Teil der Arbeitszeit ausmachen, wie beispielsweise bei Außendienstmitarbeitern oder Mitarbeitern, die regelmäßig auf Messen oder Seminaren tätig sind. In solchen Fällen besteht die Hauptleistung der Arbeitnehmer nicht in der Reise selbst, sondern in anderen Tätigkeiten.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung in diesem Bereich weiterentwickeln wird. Sollte das Urteil des VG Lüneburg in höheren Instanzen Bestand haben, könnten Arbeitgeber gezwungen sein, ihre Arbeitszeitmodelle zu überdenken und anzupassen.

Über den Autor

Herr Schreiner ist Partner der Sozietät und als Rechtsanwalt im Attendorner Büro der Kanzlei tätig.

Während seines Studiums an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster setzte er bereits eindeutige Schwerpunkte im Bereich Arbeitsrecht und war im Rahmen des Referendariats bei einer internationalen Wirtschaftskanzlei in Düsseldorf arbeitsrechtlich tätig.

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