10. März 2021
Betriebsverfassungsrecht, Arbeitsrecht und Pandemie
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Hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungs­recht bei der Ausgestaltung eines Besuchskonzepts i. S. d. Corona­-Schutzverordnung NRW?

LAG Köln, Beschluss vom 22.01.2021, Az.: 9 TaBV 58/20

I. Amtliche Leitsätze

  1. Enthält der arbeitsgerichtliche Beschluss über die Einsetzung einer Einigungsstelle eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung, ist die Beschwerdebegründungsfrist so lange als gehemmt anzusehen, wie die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels nicht abgelaufen ist.
  2. Der Betriebsrat eines Krankenhauses hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der Ausgestaltung eines Besuchskonzepts i. S. d. § 5 Abs. 1 Satz 3 CoronaSchVO NRW mitzubestimmen.

II. Sachverhalt

Die Arbeitgeberin, die ein Krankenhaus mit etwa 850 Arbeitnehmer betreibt, hatte ein System zur Dokumentation des Zutritts und des Aufenthalts betriebsfremder Personen auf dem Klinikgelände eingeführt.

Durch Beschluss des ArbG Siegburg (Vorinstanz, Az.: 3 BV 31/20) vom 06.11.2020 wurde auf Antrag des Betriebsrats der Arbeitgeberin eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „durch die Corona-Pandemie bedingte Kontrolle und Dokumentation des Zutritts und Aufenthalts betriebsfremder Personen im H Klinikum S“ eingesetzt. Die Einigungsstelle sei nach Auffassung des ArbG Siegburg zur Regelung der Angelegenheit nicht offensichtlich unzuständig. Der Beschluss wurde der Arbeitgeberin am 27.11.2020 zugestellt. In der Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses wurde ausgeführt, dass gegen diesen innerhalb einer Notfrist von einem Monat Beschwerde eingelegt werden könne. Die entsprechende Beschwerde ging am 23.12.2020 bei dem LAG Köln ein.

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, dass die Einigungsstelle zur Regelung der Angelegenheit offensichtlich unzuständig sei und hat beantragt, den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegburg vom 06.11.2020, Az.: 3 BV 31/20, aufzuheben und den Antrag des Betriebsrats zurückzuweisen.

III. Die Entscheidung des LAG Köln

Die Beschwerde der Arbeitgeberin wurde durch das LAG Köln zwar für zulässig, aber unbegründet erachtet.

  1. Die Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-Frist für die Einlegung der Beschwerde gemäß § 100 Abs. 2 S. 2 ArbGG gegen die Entscheidung über die Besetzung der Einigungsstelle sei nach Auffassung des LAG Köln vorliegend unschädlich, weil die Belehrung des ArbG Siegburg unrichtig erteilt worden sei. Die Einlegung sei daher gemäß § 9 Abs. 5 S. 4 ArbGG innerhalb eines Jahres seit Zustellung der Entscheidung zulässig. Damit einem unrichtig belehrten Beteiligten im Hinblick auf seine Rechtsmittelmöglichkeiten durch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachse, sei zudem die Rechtsmittelbegründungsfrist so lange als gehemmt anzusehen, wie die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels nicht abgelaufen ist.
  2. Weiter sei die Einigungsstelle zur Regelung des Besuchskonzepts nicht offensichtlich unzuständig i. S. d. § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Gemäß § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG können die Anträge wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist.

Vorliegend komme ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Betracht. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG sei insbesondere einschlägig, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und mangels einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Eine solche Handlungspflicht bestehe im vorliegenden Fall aufgrund des § 5 Abs. 1 S. 3 CoronaSchVO NRW. § 5 Abs. 1 S. 3 CoronaSchVO NRW sieht vor, dass Besuche auf der Basis eines einrichtungsbezogenen Besuchskonzepts, das die Empfehlungen und Richtlinien des Robert-Koch-Instituts zum Hygiene- und Infektionsschutz umsetzt, zulässig sind. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt (Stand 8.12.2020) für den klinischen Bereich die folgende Besucherregelungen:

  1. Soziale Kontakte sollten möglichst über Telekommunikation anstatt über persönliche Besuche erfolgen.
  2. Besuche sind auf ein Minimum zu beschränken und zeitlich zu begrenzen.
  3. Besucher sind zu den erforderlichen Schutzmaßnahmen (Abstand von mindestens 1,5 m zum Patienten, Tragen eines Schutzkittels und eines dicht anliegenden, mehrlagigen Mund-Nasen-Schutz, Händedesinfektion beim Verlassen des Patientenzimmers) zu unterweisen.

Zwar seien die vorstehenden Empfehlungen wegen der Verweisung in der CoronaSchVO unmittelbar verpflichtend. Dennoch bestehe für ihre Umsetzung im Betrieb der Arbeitgeberin ein Gestaltungsspielraum für eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat, z. B. über die Besuchszeiten oder Abstandsregelungen. Auch sei die Aufzählung des Robert-Koch-Instituts nicht abschließend, sondern lediglich eine Benennung von Mindeststandards.

IV. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung des LAG Köln entspricht der ständigen Rechtsprechung (vgl. etwa BAG, Beschluss vom 23.04.1985, Az.: 1 ABR 2/82). Eine Mitbestimmung des Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG kommt nur in Betracht, „soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht“.

Nicht ausgeschlossen ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats somit in den Fällen, in denen der Sachverhalt zwar gesetzlich geregelt ist, die Regelungen jedoch ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum eröffnen, also nicht abschließend sind. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht dann betreffend die ausfüllungsbedürftigen Merkmale der Vorschrift.

Dementsprechend handelt es sich bei § 5 Abs. 1 S. 3 CoronaSchVO NRW um eine Vorschrift mit Gestaltungsspielraum, sodass das LAG Köln zu Recht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Betriebsrat des Krankenhauses bei der Ausgestaltung des Besuchskonzepts mitzubestimmen hat. Anders wäre der Fall zu entscheiden gewesen, wenn durch § 5 Abs. 1 S. 3 CoronaSchVO NRW das Besuchskonzept bereits abschließend vorgegeben würde.

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