21. April 2024
Betriebsverfassungsrecht, Kündigungsrecht
Autor Markus Vogt
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Wartezeitkündigung und Betriebsratsanhörung

Der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz besteht erst, wenn die 6-monatige Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG abgelaufen ist. In den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses muss daher die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sein. Es muss weder ein verhaltensbedingter noch ein personenbedingter oder betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliegen. Es muss nicht einmal ein sachlicher oder nachvollziehbarer Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen. Das gilt unabhängig davon, ob und wie lange eine Probezeit im Sinne von § 622 Abs. 3 BGB vereinbart wurde. 

Nach dem Willen des Gesetzgebers besteht in den ersten sechs Monaten Kündigungsfreiheit. Dem Arbeitgeber soll für die Dauer der Wartezeit die Prüfung ermöglicht werden, ob er sich auf Dauer binden möchte.

Das Bundesarbeitsgericht hat den Zweck der Wartezeit wie folgt beschrieben (vgl. BAG, Urteil vom 23.04.2009, Az. 6 AZR 516/08): 

»… Die Wartezeit dient dazu, dem Arbeitgeber Gelegenheit zu geben, sich eine subjektive Meinung über Leistung und Führung des Arbeitnehmers zu bilden, die von Missbrauchsfällen abgesehen einer Überprüfung nach objektiven Maßstäben nicht unterliegt. Im Falle eines aus Sicht des Arbeitgebers negativen Ergebnisses dieser Prüfung soll er das Arbeitsverhältnis frei kündigen können, ohne dass es auf entgegenstehende Interessen des Arbeitnehmers ankommt. …« 

Von einer Wartezeitkündigung wird daher gesprochen, wenn dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben innerhalb der 6-monatigen Wartezeit – ggf. sogar am letzten Tag dieser Frist – zugeht, auch wenn das Arbeitsverhältnis infolge der Kündigungsfrist (Grundkündigungsfrist oder Kündigungsfrist infolge Probezeit) erst zu einem Zeitpunkt endet, zu dem das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung ist deren Zugang beim Arbeitnehmer. 

Von der Wartezeit ist die Probezeit zu unterscheiden. Entgegen landläufiger Meinung steht die Probezeit nicht für einen herabgesetzten Kündigungsschutz. Die Vereinbarung einer Probezeit führt lediglich dazu, dass abweichend von der Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB gemäß § 622 Abs. 3 BGB eine Kündigungsfrist von zwei Wochen (ohne Endtermin) gilt. Ob dagegen Kündigungsschutz besteht, ist allein anhand des Kündigungsschutzgesetzes zu klären (s.o.). 

Anders als das Kündigungsschutzgesetz findet das Betriebsverfassungsgesetz schon ab dem ersten Tag eines Arbeitsverhältnisses Anwendung. Eine dem § 1 Abs. 1 KSchG vergleichbare Wartezeit kennt das Betriebsverfassungsgesetz nicht. Trotz bestehender Kündigungsfreiheit ist daher der Betriebsrat auch im Falle einer Kündigung innerhalb der 6-monatigen Wartezeit anzuhören. § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG spricht ausdrücklich davon, dass die Pflicht zur Anhörung „vor jeder Kündigung“ besteht, also auch bei einer Kündigung innerhalb der Wartezeit. 

Auch bei einer Anhörung des Betriebsrats zur Kündigung während der Wartezeit sind dem Betriebsrat die Sozialdaten des betroffenen Arbeitnehmers mitzuteilen. Hierzu zählen insbesondere der Vorname, der Nachname, die Anschrift sowie das Eintrittsdatum. Das Geburtsdatum, Unterhaltspflichten und eine Schwerbehinderung können – müssen aber nicht – mitgeteilt werden (vgl. BAG, Urteil vom 23.04.2009, Az. 6 AZR 516/08). Außerdem hat der Arbeitgeber – wie bei einer „normalen“ Anhörung – Angaben zur Kündigungsfrist und zum voraussichtlichen Kündigungstermin zu machen. Hier spielt es jetzt eine Rolle, ob eine Probezeit vereinbart wurde (s.o.).  

Unterschiede ergeben sich aber bei den Angaben zum Kündigungsgrund. Nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat „die Gründe für die Kündigung mitzuteilen“. Während bei einer Anhörung zu einer „normalen“ Kündigung die Kündigungsgründe sehr detailliert mitzuteilen sind, wirkt sich bei einer Kündigung während der Wartezeit der Grundsatz der Kündigungsfreiheit aus. Denn bei einer Wartezeitkündigung reicht eine subjektive Wertung bzw. ein subjektives Werturteil des Arbeitgebers aus (s.o.). 

Diesbezüglich hat sich das Bundesarbeitsgericht wie folgt geäußert (vgl. BAG, Urteil vom 12.09.2013, Az. 6 AZR 121/12):  

»… Bei einer Kündigung in der Wartezeit ist die Substantiierungspflicht nicht an den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG, sondern allein an den Umständen zu messen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleitet. … Stützt der Arbeitgeber die Kündigung in der Wartezeit auf ein subjektives Werturteil, reicht die Mitteilung allein dieses Werturteils für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung aus. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG sein Werturteil gegenüber der Arbeitnehmervertretung zu substantiieren oder zu begründen. …« 

Das bedeutet letztlich, dass es für eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats genügt, wenn der Arbeitgeber das Werturteil selbst als das Ergebnis seines Entscheidungsprozesses mitteilt. 

Vor diesem Hintergrund wurden die folgenden Formulierungen in einer Betriebsratsanhörung bei einer Wartezeitkündigung von der Rechtsprechung nicht beanstandet: 

  • „Nach unserer allgemeinen, subjektiven Einschätzung genügt … unseren Anforderungen nicht.“ (vgl. BAG, Urteil vom 03.12.1998, Az. 2 AZR 234/98) 
  • „Nach unserer Einschätzung ist … nicht geeignet, die übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen.“ (vgl. BAG, Urteil vom 22.04.2010, Az. 6 AZR 828/08)  
  •  „… hat die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt“ (vgl. BAG, Urteil vom 18.05.1994, Az. 2 AZR 920/93) 
  • „Das Kündigungsschutzgesetz findet noch keine Anwendung. … erbringt keine ausreichende Leistung. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses liegt daher nicht in unserem Interesse.“ (vgl. BAG, Urteil vom 12.09.2013, Az. 6 AZR 121/12; LAG Hamm, Urteil vom 08.09.2023, Az. 13 Sa 20/23)

Die vorstehenden Formulierungen stellen keinen abschließenden Katalog dar. Gleichwohl empfiehlt es sich aus Gründen der Rechtssicherheit, auf eine dieser Formulierungen zurückzugreifen. 

Es ist darauf zu achten, dass auf Nachfragen des Betriebsrats oder des betroffenen Arbeitnehmers zur Begründung des subjektiven Werturteils keine konkreten Tatsachen mitgeteilt werden. Denn dann könnte die Kündigung wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam sein. Die zugrunde liegenden Tatsachen müssen offenbart werden, wenn in Wirklichkeit diese und nicht das Werturteil den eigentlichen Kündigungsgrund bilden (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.02.2022, Az. 7 Sa 251/21).  

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Arbeitgeber in der Wartezeit von seinen „Gefühl“ leiten lassen und von seiner Kündigungsfreiheit Gebrauch machen kann. Entsprechend kurz ist dem Betriebsrat lediglich das „Gefühl“ im Rahmen der Anhörung mitzuteilen.

Über den Autor

Herr Vogt ist als Rechtsanwalt am Attendorner Standort der Kanzlei tätig. Er ist Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Hamburg und dem anschließenden Referendariat im Gerichtsbezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart, war Herr Vogt selbständiger Rechtsanwalt in Friedrichshafen am Bodensee. Er betreute insbesondere mittelständische Unternehmen in arbeits- und insolvenzrechtlichen Fragestellungen.

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