23. Juli 2023
Individualarbeitsrecht, Arbeitsvertragsrecht
Autor Dr. jur. Dirk Schreiner
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Die Bindung des Arbeitnehmers durch Rückzahlungsklauseln

Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 20. Juni 2023 – 1 AZR 265/22 ) hatte sich jüngst mit einer arbeitsvertraglichen Regelung zu beschäftigen, nach der ein Arbeitnehmer verpflichtet war, dem Arbeitgeber eine von ihm für das Zustandekommen des Arbeitsvertrags an einen Dritten gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet. Das BAG hielt eine entsprechende Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB für unwirksam.

Die Arbeitsvertragsparteien schlossen Ende März 2021 einen Arbeitsvertrag, auf dessen Grundlage der Kläger ab dem 1. Mai 2021 bei der Beklagten tätig wurde. Der Vertrag kam durch Vermittlung eines Personaldienstleisters zustande. Die Beklagte zahlte an diesen eine Vermittlungsprovision iHv. 4.461,60 Euro. Weitere 2.230,80 Euro sollten nach Ablauf der sechsmonatigen Probezeit fällig sein. Nach dem Arbeitsvertrag war der Kläger verpflichtet, der Beklagten die gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis nicht über den 30. Juni 2022 hinaus fortbestehen und aus vom Kläger „zu vertretenden Gründen“ von ihm selbst beendet werden würde. Nachdem der Kläger sein Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30. Juni 2021 gekündigt hatte, behielt die Beklagte – unter Verweis auf § 13 des Arbeitsvertrags – von der für den Monat Juni 2021 abgerechneten Vergütung des Klägers einen Teilbetrag iHv. 809,21 Euro netto ein.

Das Bundesarbeitsgericht war der Auffassung, dass die genannte Regelung in § 13 des Arbeitsvertrags den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige und daher nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sei. Der Kläger werde hierdurch in seinem von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes beeinträchtigt, ohne dass dies durch begründete Interessen der Beklagten gerechtfertigt wäre. Der Arbeitgeber habe grundsätzlich das unternehmerische Risiko dafür zu tragen, dass sich von ihm getätigte finanzielle Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht „lohnen“, weil der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in rechtlich zulässiger Weise beendet. Es bestehe deshalb kein billigenswertes Interesse der Beklagten, solche Kosten auf den Kläger zu übertragen. Der Kläger erhalte auch keinen Vorteil, der die Beeinträchtigung seiner Arbeitsplatzwahlfreiheit ausgleichen könnte.

Insbesondere der letzte Aspekt unterscheidet die hier vom Bundesarbeitsgericht überprüfte Vertragsklausel etwa von einer Regelung, nach der ein Arbeitgeber zur Belohnung zukünftiger Betriebstreue am Jahresende eine Sonderzahlung gewährt, die der Arbeitnehmer aber wieder zurückzahlen muss, wenn er das Arbeitsverhältnis selbst durch Eigenkündigung innerhalb eines gewissen Zeitraum nach der Zahlung beendet. Solche Rückzahlungsklauseln sind grundsätzlich zulässig ist, wenn die Bindung des Arbeitnehmers und die damit verbundene Beeinträchtigung seiner Arbeitsplatzwahlfreiheit nicht für einen zu langen Zeitraum vereinbart wird. Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht folgende Grundsätze aufgestellt:

  • Sonderzahlungen bis zu 100 €: keine Rückzahlungsmöglichkeit
  • Sonderzahlungen von weniger als einem Monatsgehalt: Bindungsfrist bis zum 31. März des Folgejahres zulässig
  • Sonderzahlungen in Höhe eines vollen Monatsgehalts oder mehr: Bindung bis maximal zum 30. Juni des Folgejahres zulässig

 

Ist die Bindung bis zum 31. März des Folgejahres zulässig, muss die Rückzahlungsklausel ein Ausscheiden am 31. März des Folgejahres ermöglichen, anderenfalls ist sie unwirksam. Die Rückzahlung einer Jahresleistung in Höhe eines halben Monatsgehalts kann daher nicht verlangt werden, wenn der Arbeitnehmer zum 31. März des Folgejahres kündigt.

Eine ähnliche Problematik stellt sich bei Rückzahlungsklauseln in Bezug auf vom Arbeitgeber voll- oder teilfinanzierte Aus- Fort- oder Weiterbildungen des Arbeitnehmers. Hierfür hat das Bundesarbeitsgericht ebenfalls eine Faustformel entwickelt, die nicht als feste rechnerische Größe zu verstehen ist; einzelfallbezogene Umstände, etwa die Eigenart der jeweiligen Weiterbildung, können eine kürzere oder längere Bindungsdauer rechtfertigen.

  • Fortbildung bis zu einem Monat: Bindung bis zu sechs Monaten
  • Fortbildung von bis zwei Monaten: Bindung bis zu zwölf Monaten
  • Fortbildung von drei bis vier Monaten: Bindung bis 24 Monate
  • Fortbildung von sechs Monaten bis einem Jahr: Bindung nicht länger als drei Jahre
  • Fortbildung von mehr als zwei Jahren: Bindung bis fünf Jahre

 

Eine Beschränkung der Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers ist daher trotz der in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Berufsfreiheit grundsätzlich möglich; für die Wirksamkeit entsprechender arbeitsvertraglicher Regelungen kommt jedoch maßgeblich auf die Dauer der Bindung und die dem Arbeitnehmer durch eine entsprechende Regelung als Gegenleistung entstehenden Vorteile an.

Über den Autor

Dr. Dirk Schreiner ist als Rechtsanwalt im Attendorner Büro der Kanzlei tätig. Er ist Partner und Gründer der Sozietät.

Nach seinem Studium an der Rheinischen-Wilhelms-Universität Bonn und der Universität Münster promovierte er im Jahre 1987. Anschließend arbeitete er in einer OLG-Kanzlei in Hamm sowie in einer Arbeitsrechtsboutique in Münster. Im Jahre 1993 gründete er die Anwaltskanzlei Dr. Schreiner + Partner.

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