Arbeitsrechtslexikon

Das ABC des Arbeitsrechts

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Begriff

Krankheitsbedingte Kündigung

Die krankheitsbedingte Kündigung ist ein Unterfall der personenbedingten Kündigung. Es kommt hier nicht auf ein Verschulden des Arbeitnehmers an. Sie kann auch während einer Krankheit ausgesprochen werden.

Bei der krankheitsbedingten Kündigung werden vier Grundtypen unterschieden:

  1. Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
  2. Kündigung wegen langandauernder Krankheit
  3. Kündigung wegen Dauererkrankung
  4. Kündigung wegen krankheitsbedingter Leistungsminderung
Krankheitsbedingte Kündigung

Prüfsystematik bei kranheitsbedingten Kündigungen

Ob eine krankheitsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt ist, wird in vier Stufen geprüft.

  1. Negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen zukünftigen Gesundheitszustandes
  2. Erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers
  3. Prüfung eines milderen Mittels
  4. Einzelfallbezogene Interessenabwägung

 

Diese vier Stufen werden bei allen vorab benannten Grundtypen angewendet. Im Folgenden sollen daher die Anforderungen bei den einzelnen Stufen in Bezug zum jeweiligen Typus dargestellt werden.

Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen

Negative Gesundheitsprognose

Eine Kündigung wird immer zukunftsgerichtet ausgesprochen. Aufgrund objektiver Tatsachen in der Vergangenheit wird darauf geschlossen, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft häufig erkranken wird.

Der für die Prognose maßgebliche Zeitpunkt ist der Zugang der Kündigungserklärung. Gesundheitliche Maßnahmen nach Ausspruch der Kündigung haben damit keine rechtliche Relevanz auf den Ausspruch der Kündigung.

Problematisch ist für den Arbeitgeber in der Praxis häufig, dass er nur die Anzahl der Krankheitstage verlässlich kennt. Insofern stellen die folgenden Angaben lediglich eine Faustformel für eine erste Orientierung dar:

  • Kündigung möglich ab mindestens 30 prognosefähigen Fehltagen / Arbeitstagen pro Jahr, bezogen auf jedes Jahr der vergangenen drei Kalenderjahre
  • Wirksame Kündigung wahrscheinlich ab ca. 45 prognosefähigen Fehltagen / Arbeitstagen pro Jahr, bezogen auf jedes Jahr der vergangenen drei Kalenderjahre
  • Wirksamkeit der Kündigung stark wahrscheinlich ab ca. 60 prognosefähigen Fehltagen / Arbeitstagen pro Jahr, bezogen auf jedes Jahr der vergangenen drei Kalenderjahre

 

„Prognosefähig“ sind nur solche Erkrankungen, bei denen eine Wiederholungsgefahr besteht. Ausgeheilte Erkrankungen oder einmalige Operationen sind nicht prognosefähig. Die Auslegung, ob eine Erkrankung prognosefähig ist, ist vom Einzelfall abhängig, ein „schwarz-weiß“ Raster ist hier nicht möglich.

Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen

Die prognostizierten Erkrankungen können eine krankheitsbedingte Kündigung nur rechtfertigen, wenn diese Fehlzeiten zu erheblichen betrieblichen oder wirtschaftlichen Beeinträchtigungen führen.

Betriebliche Beeinträchtigungen können sein: Störungen im Produktionsablauf, Maschinenstillstand, Überlastung der übrigen Belegschaft, wiederholte Einstellung von vorübergehenden Aushilfskräften oder Leiharbeitnehmern, Beeinträchtigung des Betriebsfriedens infolge sich wiederholender Vertretungsnotwendigkeiten, Verärgerung von Kunden wegen nicht termingerecht erledigter Aufträge etc.

Wirtschaftliche Beeinträchtigungen sind vor allem die bei häufigen Kurzerkrankungen zu zahlenden Entgeltfortzahlungskosten. Hinzutreten können Kosten für Aushilfskräfte oder Leiharbeitnehmer, die zur Vertretung des erkrankten Arbeitnehmers eingesetzt werden.

Prüfung milderer Mittel und die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements

Der Arbeitgeber ist vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung verpflichtet, jede mögliche, zumutbare und geeignete Maßnahme zu ergreifen, um die Kündigung zu vermeiden. Es ist daher zu prüfen, ob der Arbeitnehmer auf einem anderen gleichwertigen, freien oder freizumachenden Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, auf dem keine betrieblichen Beeinträchtigungen mehr zu erwarten sind. In diesem Fall würde es zu einer Versetzung kommen.

Der Arbeitgeber muss weiter prüfen, ob eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung nach zumutbaren Fortbildungsmaßnahmen besteht und/oder ob der Arbeitnehmer zu geänderten Arbeitsbedingungen, ggf. auf einen Arbeitsplatz mit geringeren Anforderungen und verminderter Bezahlung, weiterbeschäftigt werden kann.

Durch das betriebliche Eingliederungsmanagement können solche milderen Mittel erkannt und entwickelt werden.

Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist für alle längerfristig arbeitsunfähigen Arbeitnehmer anzuwenden und nicht nur bei schwerbehinderten Arbeitnehmern.

Die Nicht-Durchführung des BEM verschärft somit die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers zum Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein milderer Mittel ganz erheblich.

Interessenabwägung

Es ist aufgrund der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen, ob die betrieblichen oder wirtschaftlichen Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber noch hinzunehmen sind oder für ihn nicht mehr tragbar sind. Selbst bei einer sehr hohen Anzahl von krankheitsbedingten Fehltagen und schwerwiegenden betrieblichen Beeinträchtigungen ist diese Interessenabwägung immer vorzunehmen.

Bei der Abwägung sind zugunsten des Arbeitgebers folgende Umstände zu berücksichtigen:

  • eine verschuldete Erkrankung aufgrund unvorsichtigen Verhaltens des Arbeitnehmers
  • besonders erhebliche Ausfallszeiten (über einen Zeitraum von 4 Jahren durchschnittlich 25 % Fehlzeiten)
  • kurze Dauer des Arbeitsverhältnisses
  • Entgeltfortzahlungskosten von deutlich mehr als 6 Wochen pro Kalenderjahr
  • besonders erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen und Unzumutbarkeit weiterer Überbrückungsmaßnahmen für den Arbeitgeber
  • schlechte wirtschaftliche Lage des Unternehmens

 

Zugunsten des Arbeitnehmers sind insbesondere folgende Umstände zu berücksichtigen:

  • Krankheit infolge betrieblicher Umstände
  • lange Dauer des ungestörten Verlaufes des Arbeitsverhältnisses
  • höheres Lebensalter des Arbeitnehmers
  • Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers
  • schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt

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  • Steffen Meyke, Dominic Wallenstein, Dr. jur. Bianca Maiworm LL.M. u.v.m.

Kündigung wegen lang andauernder Erkrankung

Negative Gesundheitsprognose

Von einer lang andauernden Erkrankung ist auszugehen, wenn der Arbeitnehmer etwa 1 ½ Jahre arbeitsunfähig ist und ein Ende der Erkrankung nicht abzusehen ist.

Wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht mit einer Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit in den nächsten 24 Monaten zu rechnen ist oder die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit völlig ungewiss ist, so liegt hierin eine negative Gesundheitsprognose.

Diese Fragen werden sich häufig erst durch Erstellung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens klären lassen. Es besteht keine Verpflichtung des Arbeitnehmers, vor einer Kündigung ein ärztliches Gutachten vorzulegen. Der Arbeitgeber, der die Krankheitsursachen nicht kennt, sollte dennoch den Arbeitnehmer vor der beabsichtigten Kündigung nach der voraussichtlichen Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit befragen.

Auch eine bisher kurze Fehlzeit kann im Einzelfall eine Kündigung wegen lang andauernder Erkrankung rechtfertigen, wenn objektive Anhaltspunkte für ein langfristiges Andauern der Arbeitsunfähigkeit vorhanden sind.

Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen

Aufgrund der langen Dauer der Erkrankung kommt eine wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers mit Entgeltfortzahlungskosten in der Regel nicht in Betracht. Es können jedoch andere wirtschaftliche Belastungen auftreten: z. B. Mehrkosten für Ersatzkräfte, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und sonstige Gratifikationen, sofern diese im Einzelfall auch bei Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlen sind. Hinzu tritt, dass bei Arbeitnehmern, die ihren Urlaub wegen lang andauernder Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnten, der gesetzliche Mindesturlaub zunächst erhalten bleibt, sodass sich Urlaubsansprüche ansammeln können.

Erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen können vorliegen, wenn es dem Arbeitgeber nicht mehr möglich ist, die voraussichtliche Ausfallzeit zu überbrücken, z. B. durch Einstellung einer Ersatzkraft. Der Arbeitgeber muss grundsätzlich versuchen, sich mit einer vorübergehenden Vertretung zu behelfen. Steht jedoch fest, dass der Arbeitnehmer die arbeitsvertragliche Tätigkeit dauerhaft nicht mehr erbringen kann, muss sich der Arbeitgeber nicht mehr auf etwaige Vertretungsmöglichkeiten verweisen lassen.

Überprüfung milderer Mittel/ betriebliches Eingliederungsmanagement

Wenn der Arbeitnehmer bereits seit Langem erkrankt ist, kommt eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz in der Regel nicht in Betracht.

Jedoch ist der Arbeitgeber auch im Falle einer lang andauernden Erkrankung verpflichtet, als milderes Mittel vor Ausspruch einer Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen.

Interessenabwägung

Hierbei sind vom Arbeitgeber grundsätzlich dieselben Umstände gegeneinander abzuwägen wie bei häufigen Kurzerkrankungen.

Es ist also insbesondere zu prüfen, ob Überbrückungsmaßnahmen wie z.B. die befristete Einstellung einer Ersatzkraft, die Durchführung von Über- oder Mehrarbeit, eine personelle Umorganisation oder organisatorische Umstellungen möglich sind.

Ist das „ob“ und „wann“ der Genesung des Arbeitnehmers völlig ungewiss, dann ist die Schwelle für eine Unzumutbarkeit erreicht, wenn in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer Änderung der negativen Prognose zu rechnen ist.

Kündigung wegen krankheitsbedingter Leistungsminderung

Zunächst ist zu beachten, dass der Arbeitgeber nur eine „individuelle Normalleistung“ verlangen kann. Leistungsmängel können daher eine Kündigung erst dann rechtfertigen, wenn sich die Leistungen des betroffenen Mitarbeiters signifikant vom Leistungsniveau der zwar unter dem Durchschnitt liegenden, aber noch hinreichend leistungsfähigen Arbeitnehmer abheben.

Bei diesem Kündigungsgrund ist es zunächst problematisch festzustellen, wann überhaupt eine Leistungsminderung vorliegt. Hierzu muss zunächst festgestellt werden, wann eine normale 100%ige Leistungsfähigkeit vorliegt.

Eine Leistungsminderung kann nur dann eine Kündigung rechtfertigen, wenn die Leistungsfähigkeit erheblich (um mindestens 30 % gegenüber der Normalleistung) beeinträchtigt ist.

Der Arbeitgeber hat ebenso die Möglichkeit der Versetzung zu prüfen. Für die Interessenabwägung gelten die allgemeinen Grundsätze, wie bereits bei der Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen dargestellt.

Kündigung wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit

Von einer dauernden Arbeitsunfähigkeit wird gesprochen, wenn der Arbeitnehmer auf Dauer nicht mehr in der Lage ist, die geschuldete Leistung zu erbringen. Steht fest, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht erbringen kann, ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung auf Dauer erheblich gestört. Steht die dauernde Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers fest, ist in der Regel auch von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Eine solche dauernde Leistungsunfähigkeit liegt insbesondere auch bei einem vollständigen Verlust der Erwerbsfähigkeit des Arbeitnehmers vor. Wurde zu Lasten des Arbeitnehmers dessen Berufsunfähigkeit oder dessen Erwerbsunfähigkeit festgestellt, begründet dies eine hinreichende negative Gesundheitsprognose.